Eine feste Burg ist unser Karstadt – gewesen

Kleiner metaphysischer Blick auf einen Konsensträger der BRD

Bernd Ternes

 

Vor über 30 Jahren stellte Jürgen Habermas die Frage, ob komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden können, angesichts der auseinanderfallenden Vernunft, deren verschiedene Rationalitäten durch kein gemeinsames Band mehr gehalten wird. Heute wie auch damals muß man antworten: Mit Sicherheit nicht.

Aber dafür gibt es Karstadt. Wie das? Und: Gibt es weiterhin Karstadt? Mit Sicherheit nicht.

 

Sicher, es ist ein Zeichen intellektueller Verwahrlosung, einen Warenhauskonzern ernstlich loben zu wollen, seine Verdienste für die alltägliche Psychohygiene von Millionen von Konsumenten herausstreichen zu wollen, die erst jetzt, nach der Beerdigung der BRD, Kontur bekommen. Aber die Ermäßigung der Ansprüche theoretischer Art, die man als gesellschaftstheoretisch interessierter Mensch in den letzten 10 Jahren hinnehmen mußte, erlauben es bar irgend Komik und Klamauk, im Großwarenhaus Karstadt so etwas wie ein gesellschaftlich Allgemeines zu sichten und zu destillieren – nachträglich, versteht sich.

Karstadt, nun ja: eigentlich KarstadtQuelle war eine Art Konsens-Armee-Fraktion, Abteilung Alltags- und Konsumwelt der Nachkriegsgesellschaft BRD. Während Bahn und Post schon längst ihre allgemeine Sittlichkeit durch die Eigendynamik (sic!) des Behördismus verloren hatten, hielt Karstadt gleichsam privatwirtschaftlich fest an dem jahrzehntelangen Tagesbefehl der Bonner Republik: Konsens und konzertierte Aktion, Markt, aber wenn es geht für alle, Individualismus, aber bitte mit Übersicht und konzentriert, für alles Platz, aber alles an seinem Platz! Alles, was danach kam, die Einkauf-Passagen, die Supermärkte auf der grünen Wiese, vor allem die Teppich-Domäne-Kette, war nicht mehr als eine ungenießbare Farce und mit weitem Abstand nicht mehr dem Karstadt-Axiom verpflichtet, dem zufolge wirklich alles, bis hin zur dritten Version einer ganz seltenen Bleistiftmine, unter einem Dach versammelt zu sein hat.

Schon daß Karstadt 2007 von der Kette Kaufland eingenommen wurde – zumindest zwei kleinere Filialen –, versprach nichts Gutes und wies damals den Weg, der heute, 2009, sein Ziel erreicht hat. Karstadt war realisierter Tante-Emma-Urbanismus. Was jetzt zu erwarten ist, wird sicher unannehmbar sein: Eine weitere Spartisierung, wie wir sie schon durch die Medienmärkte erleben mussten, und wohl auch eine Wal-Martisierung, die schlicht und einfach nicht in die BRD paßt. Aber die gibt es ja nicht mehr. Schade eigentlich.

Karstadt war die Fortsetzung der Agora als allgemein zugänglicher Bunker für Konsumenten jeglicher Brieftasche. Hier konnte der Gourmet seine Flasche Barolo für 20 Euro erwerben, der Soziologiestudent seine Flasche Merlot für 2,99 Euro kaufen.

Jede noch so penetrante Unwirtlichkeit der Innenstädte und Bezirke wurde durch den überirdischen Karstadtbunker erhöht und ineins verdrängt. Wo ein Karstadtbunker steht, da stellte sich noch in den totesten Bezirken phänomenologisch so etwas wie Leben ein. Bis zuletzt, nach einigen großen Umbauten, keine Fenster, kaum richtig helles Licht im Warenraum. Höhle, Bunker eben. Während sonst nur durch Unglück und Katastrophen alle Unterschiede der Bevölkerung verschwimmen und eine Mitleidsgemeinschaft sich bildet, an der fast alle teilnehmen, klassenlos, wenn auch nur für kurze Dauer, das schaffte Karstadt durch sein Warensortiment und seine Größe: Man wurde zum Karstadtianer, sobald man die Höhle betrat. Und man war etwas besseres. Man gönnte sich, etwas mehr zu bezahlen, weil man durch seinen Besuch bei Karstadt bewies, daß man es nicht nötig hat, weiter herumzusuchen nach dem gewünschten Produkt. Bei Karstadt einkaufen war also per se eine luxuriöse Geste: Man bewies eine unökonomische Haltung, man bewies Bequemlichkeit: Ein schwacher Hauch alter Dekadenz, aufbereitet für die protestantische Mittelschichtgesellschaft.

Jedem Karstadtianer muß es in der Seele wehgetan haben, als der bürgerliche Gemeinschaftsbunker dazu überging, im Souterrain Areale für Schnäppchen freizumachen. Eine elementare Fehlentscheidung der Konzernführung dies. Schnäppchen bei Karstadt – damit wurde ein tiefes, sicher borniertes, aber gleichsam mental-sediertes Konsumentengefühl verraten. Vielleicht war das der Beginn der Auflösung dieses eigentümlichen inneren Bandes zwischen dem Warenhaus Karstadt und seinen Besuchern. Flaneure vertragen es nicht, wenn ihnen unterstellt wird, daß sie doch eigentlich Jäger sind!

Die politische Philosophie der letzten 2000 Jahre ist voll mit Vorstellungen und Anweisungen, wie die Gesellschaft (der Staat, das Allgemeininteresse) in der Gesellschaft abzubilden ist. Wir Heutigen können wissen, daß das nicht geht. Die BRD-Institution Karstadt schaffte es gleichsam (und sei es nur für die bürgerliche Dimension der Konsumentenhülle), eine Ahnung des Unmöglichen zu vermitteln.

Man sollte, wenn Karstadt abgerissen wird, nicht den Fehler wiederholen, den man beim Mauerfall machte. Man sollte ein Kaufhaus stehen lassen, als Denkmal, als begehbares Kunstwerk. Mit Verkäufern.

P.S. Ein Freund schrieb mir folgendes:

„Ich habe es nun heute endlich, trotz Unwohlseins, geschafft, meine Karstadt-Einkäufe zu erledigen. Beim Verlassen des Gebäudes ereilte mich dann eine kleine Überraschung: In (den) drei Schaufenstern gen Urbanstaße stand jeweils eine weibl.(?) Schaufensterpuppe in Reizwäsche (so nannte man das früher, wie es jetzt heißt, weiß ich nicht, wohl: Dessous?).

Auf jeden Fall stand vor jeder der drei unterschiedlich gekleideten Modelle ein kleines Tischen, auf dem dann noch einmal ein textiles Accessoire, ein Dildo/Vibrator und eine große Dose Gleitcreme positioniert waren.

Fortschritt - oder das Ende aller Zivilisation?

Vielleicht kannst Du diesen Anblick ja noch in Deinen Karstadt-

Text einbauen.

Gott schütze uns vor dem Elend, dem Inneren – er tut es nicht.

Und darum wollen wir dann, nicht gemeinsam, verzweifeln.“