Macht nichts – Szenen aus der
Unbeweglichkeit (1986)
bernd ternes
im folgenden der zu einem
hörspiel bearbeitbare text
"macht nichts - szenen aus der
unbeweglichkeit"
teil 1, 2 und 3 (kann auch als literatur gelesen
werden)
teil 1
a) verlustroutine
h. wacht auf. ein blick auf die zahlen neben dem
bett. drei in weinrot.
eine knappe stunde. h. überlegt. fährt mit der hand
über seinen schwanz. zieht die decke kinnhoch.
halb vier.
h. überlegt, wieviel stunden er noch schlafen kann,
bis er aufstehen wird. irgendetwas hat ihn gestört. h. überlegt, ob er geträumt
hat. er will nicht. dreht sich zur seite - und versucht es.
zigaretten tauchen auf im kopf. 10 sec vergehen. die
hand greift zum lichtschalter, dann zur packung, dann zum feuerzeug, dann zum
aschenbecher. jetzt liegt sie auf dem bauch.
h. fängt harmlos an. `wenn ich nach der zigarette
einschlafe, dann..., wenn nicht,...welches buch vergewaltige ich dann?`
h. bleibt hängen beim wort vergewaltigung.
`vergewaltigung?` die hand reibt wieder. `scheiße,
schon wieder drin`. er steht zügig auf und geht zu den büchern. früher hatte er
erst nach der zigarette aufstehen und zu den büchern gehen müssen. das fällt
ihm jetzt auch ein. h. fühlte sich in einem trend gefangen, der nach unten
ging. er fühlte sich beklemmt. schon der gedanke, daß er alle bücher, die in
bettnähe liegen, vor dem zubettgehen wieder in die regale zurückstellen könne,
daß er also nicht flüchten wolle, sägt er ab. wollen ja, aber nicht können,
denkt er.
ein bild in seinem kopf: er, in einer kneipe an einem
am hinteren rand des raumes befindlichen stehtisch seinen kaffee trinkend,
beobachtet die wirtin beim versuch, eine drehverschlußflasche zu öffnen. h.s
blick fällt plötzlich auf ein ekelhaft grinsendes gesicht eines untersetzten mannes,
der ebenfalls die verzerrten verrenkungen der frau beobachtet. h. bemerkt ein
dumpfes gefühl wachsen. in ihm. mittlerweile mündete das ekelhafte des grinsens
ein in eine dümmliche gönnerhaftigkeit: der mann streckt beide arme zur frau,
die, als hätte sie darauf gewartet, das öffnen abgenommen zu bekommen, mit
lächelndem faltenziehen die flasche herreicht und versteckt teilnahmslos dem
kurzen ruck beiwohnt. h. fühlt geradezu, wie sich der mann jetzt, als er die
flasche der sich bedankenden wirtin reicht, fühlt, so ein armes amalgam aus
stärke, hilfsbereitschaftsproduktion, selbstverständlichkeit und
vieleicht-hab-ich-jetzt-was-bei-ihr-gut.
in solchen situationen ist mitleid ein gutes wort,
denkt h. überhaupt mitleid mit all den freundlichen wracks, die nur noch darauf
warten, nicht mehr warten zu müssen, mit den eingebildeten, die nur noch bereit
sind zu signalisieren, daß sie nicht mehr bereit sind, bereitschaft zu
signalisieren.
mit all denen verbindet h. bloß lächerlichkeit. und
mitleid. `was jetzt, lächerlichkeit oder mitleid?`
beim ausdrücken der zigarette hielt h. plötzlich inne.
er konnte sich nicht mehr präzise erinnern, ob er jetzt nicht der war, der am
stehtisch stand, oder dieser ekelhaft grinsende mann. draußen vergaß er sich.
b) erinnerungsleere
h. hört die kaffeemaschine. sofort bemerkt er soetwas
wie ein gutes verhältnis zu seiner kaffeemaschine. die kaffeemaschine und ich,
denkt er. und grinst sich an. überhaupt kommt er mit dingen, die auf den ersten
blick eindeutig nicht nicht menschen sind, gut aus. h. schaut sehr oft
fernsehn. einmal lag er da, samstags, abends, und wußte, daß er die nächsten
fünf stunden mit seinem fernseher zusammensein [zusammen sein] würde. noch
empfand er ein wenig scham, damals, doch beim zweiten film schon wurde ihm
klar, daß ihm die endlose leere im kopf genußräume erschloß, die er sonst nie
als zeitvertreib hätte nutzen können. unvorstellbar, das leben aushalten zu
wollen, ohne an scheiße keinen genuß entwickeln zu müssen. undenkbar, sich zu
konzentrieren. außer bei frauen.
h. nimmt nur noch einen löffel zucker. daß er den
zweiten löffel zucker immer als unterlassenen löffel zucker mitdenkt, wirft ihn
jedesmal in die zeit zurück, zu der er noch zwei löffel zucker brauchte. obwohl
ihm das erleichterung schafft daran erinnert zu werden, daß er was an sich
geändert hat - was womöglich auf viel gravierendere veränderungen hindeutete,
die er aber jetzt noch nicht ausmachen konnte -, war nicht zu übersehen, daß er
früher gelebt hatte, wie er heute nicht mehr leben wollte.
schwachsinn, dachte h. er stellte die tasse auf den
schreibtisch, nahm eine zigarette. `manchmal ist es leichter zu schreiben als
zu denken`. schwachsinn, dachte er wieder und schrieb: "wenn es etwas
gibt, das besser ist, als mit schlecht beschrieben zu werden, dann muß es mehr
geben als das, das wenn-dann-sätze braucht, um erzählt werden zu können. ist
dem so, dann hat diese feststellung keine aussage, die besser ist als schlecht.
also höre ich auf zu schreiben".
zu haß hatte er schon immer ein klares verhältnis.
soetwas wie freude kam in ihm auf, wenn haß sich ausbreitete. er genoß es zu
beobachten, wie schnell etwas wachsen konnte, das in keiner weise zu gebrauchen
war; wie in ihm eine produktion begang, ohne irgendetwas herzustellen. er brauchte
schon lange nicht mehr seine einbildungskraft zu bemühen, um sich zu hassende
vorzustellen. dafür nannte er eine wunderschöne formulierung sein eigen, die er
wort für wort im gedanken einschaltete, wenn es nötig war. eigenartigerweise
konnte sich h. nicht daran erinnern, diese jemals an sich gerichtet zu haben.
c) sprechentlohnung
zu gewissen zeiten, die er selbst nie genau zu deuten
verstand - er ließ sich dennoch jedesmal zu der aussage nötigen, es handele
sich um eine krise -, wollte h. etwas hinter sich lassen. er wußte nicht was.
er wußte nur, daß selbstmord nicht mehr in frage kam. vorallem wegen der
frauen. das war was, das fähig war, ihn etwas vermissen zu lassen. dafür lohnte
es sich zu handeln.
das hatte er früher nicht so genau gewußt. damals
dachte er, seinen teil bei der menschheitsbetreffenden arbeit verrichten zu
müssen, eine arbeit, die ausschließlich zur aufgabe hatte, den glauben instand
zu halten, daß gerechtigkeit, glück, sozialismus trotz allem noch vermittelbar
sei. wenn er mit scheinbar interessierten sprach, ging er manchmal noch weiter
und vertrat den standpunkt, daß die vermittlung von gerechtigkeit, glück und
sozialismus aus sich heraus intakt sei, durch die kapitalistischen und
reaktionären kräfte jedoch noch in die stellung eines wartenden 100 m-läufers
gepfercht werde, der, sobald geschossen wird, in unglaublicher geschwindigkeit
unglaubliche energien freisetze und...jedenfalls sei die eigentliche geschichte
in wenigen sekunden erreicht, d.h. erreichbar, wenn...
mittlerweile ist h. schon froh, wenn bloß mittelbar
vermittlung statthat, froh,wenn er mitansehen kann, wie bei manchen menschen
eine nicht bewußte haltung zum vorschein kommt, die von einer nicht mehr
verstehbaren selbstverständlichkeit der vermittlung getragen wird. wie
religion, denkt er dann.
daß er für solche ausgrabungsfossilien immer noch so
sensibel ist, stört h. er kommt sich erkannt vor, wenn er derart am graben ist;
ein fingerzeig darauf, daß er immer noch rausbekommen will, wer er ist, was er
ist, warum er ist und so weiter. unerträglich. genau das wollte er doch hinter
sich lassen.
in momenten wie diesen, in denen er sich
unausweichlich präzise seziert vorkam, geöffnet, bloßgelegt, zeigte sich, wie
gut sich h. zu drehen verstand. und zwar in die richtung, die konstruktivität
einbilden konnte. denn hier lehnte h. jede art von destruktivität ab. ihm war
noch unklar, ob er das gut oder schlecht finden sollte. nichtsdestotrotz
blieben seine gedanken an den stimmen kleben, die sich als erste im hirn bewegten.
diesmal waren es die von der naivenfraktion, denen er konzentriert lauschte: `h., es kommt nicht darauf an, was hinter sich zu lassen,
sondern darauf, was zu hinterlassen, und zwar etwas, das mit dir zu tun hat`.
die schwammworte `es', `was', `etwas' stießen h.
unangenehm auf. aber er war zufrieden. für's erste ist das doch schon viel,
dachte er. eine rettung gibt's so und so nicht, dachte er.
d) sinnerpressung
h. öffnet die tür, schaltet das licht an, schließt,
öffnet die hose, klappt die brille hoch, kramt den schwanz raus, lockert den
schließmuskel, postiert seinen schwanz fürs nicht-danebenpissen, geht mit dem
kopf zurück in den nacken, erblickt eine schabe an der wand, schließt
reflexartig die augen, öffnet sie unmittelbar, bemerkt, daß sich sein
schließmuskel wieder schließt, betrachtet die schabe, sieht ein sich bewegendes
schabenbein, hofft, daß die schabe im ganzen unbeweglich bleibt, merkt, wie die
pisse in ihm zu laufen beginnt, richtet sein kopf nach unten zur neupostierung
des schwanzes, rotiert mit den augen zwischen schwanz und schabe, die sich
trotz anschein doch bewegen könnte, pisst plötzlich, wartet, ob die schabe das
neue geräusch zum anlaß nimmt, sich zu bewegen, nimmt die schabenspraydose
wahr, die oben im regal steht, sagt im gedanken das wort `verlockung', dann das
wort `töten', grinst, bemerkt die schlußphase des pissens, drückt seine blase,
blickt auf die schabe, denkt sich aus, die schabe stünde in verbindung mit
einer art schabenorganisation, die..., reisst kloopapier ab, berührt damit
zaghaft die pissnaße eichel, wirft das papier ins kloobecken, verstaut seinen
schwanz, schließt die hose, blickt auf die schabe, empfindet bestätigung seiner
erwartung, daß die schabe noch dort sitzt und nicht in seiner hose, spült ab,
greift zur sprühdose, öffnet die kappe, schüttelt, hält inne und liest
"mindestens 10 cm abstand", hält die sprühöffnung in schabenhöhe,
setzt den zeigefinger auf die druckdüse, schaut auf die schabe, wartet, stellt
die dose zurück, bewegt sich rückwärts zur tür, öffnet, greift zum
lichtschalter, blickt auf die schabe, löscht das licht, geht raus, schließt die
tür, denkt `es gibt noch hoffnung', dreht den wasserhahn auf, denkt `wenn die
schabe nur verstünde', dreht zu, trocknet sich die nichtnaßen hände, sagt, zu
sich: "abenteuer im alltag".
e) selektionstraining
nachdem er einkaufen war, entschloß sich h. in ein
café zu gehen. auf dem weg dorthin vergewisserte er sich, auch kugelschreiber
und papier dabei zu haben. er wollte schreiben. wenn er sich in einem bild
vorstellen konnte, das ihn an einem cafétisch sitzen ließ, tasse in der linken
hand, zigarette eingeklemmt am aschenbecher, papierblatt und stift vor ihm
liegend, vielleicht noch jazz im hintergrund, dann überkam ihn soetwas wie die
spur eines wohlgefühls.
was er zu schreiben vorhatte; was er dann tatsächlich
zu papier brachte, war ihm egal. es interesssierte ihn einfach nicht. nicht,
daß er sich nicht konzentrierte, auf syntax achtete, einen gedankenkomplex
entfalten wollte oder zumindest einen gedanken. es kam sogar vor, daß er sich
am ende eines textproduktes, dieses nochmal durchlesend, überrascht zeigt. und
zwar über seine immer noch vorhanden sein müssende fähigkeit, totaler scheisse
eine äußerst kompakte, stringente und genaue sprachform zu verpassen. `es gibt
keine beziehung mehr zwischen form und inhalt, weil es keinen inhalt mehr gibt,
der sich noch auf etwas beziehen kann, das nicht schon formalisiert ist',
schrieb er einmal in einer solch seltenen situation und mußte auch über diesen
satz verstummen; er war genau so dumm wie das, was er meinte.
noch am eingang stehend blickte er zu einem leeren
tisch und bewegte sich auf ihn zu. seine professionelle art, sich in kneipen
und cafés, überhaupt überall da, wo sich menschen dicht ansammelten, rapide
einen überblick der fraueninfrastrukturqualität zu verschaffen, ohne seine gier
zum vorschein zu bringen, die er nach frauen hatte, wußte er nicht eindeutig zu
bewerten. war sie anpassung oder zielgerichtete taktik? er wußte es nicht.
er saß.
`da hinten die sieht geil aus'.
`geiler lutschmund'.
`mein gott, ich raff's nicht. wie hält's die mit denen
aus? oder ist die auch so?'.
"einen michkaffee, bitte".
`geiler arsch'.
"danke".
`daß die immer mit diesen hängepullovern rumlaufen.
man sieht doch nichts'.
`da vorne die'.
`was meinst du'?
`wart'noch'.
`du wolltest doch schreiben'.
`ach ja, schreiben'.
"die geschichte sagt mir: beweg dich nicht. die
sprache sagt mir: halt's maul. die ideologie sagt mir: mißtraue nicht. die
wissenschaft sagt mir: vertraue nicht. die menschen sagen mir: sei nicht
rücksichtslos".
`die guckt schon wieder'.
"die politik sagt mir: beweg dich nicht. die
kultur sagt mir: beweg dich nicht. das fernsehn sagt mir: beweg dich nicht. das
militär sagt mir: töte".
`die will was, bestimmt'!
"ich sag mir: nichts".
`die will echt was, bestimmt'.
`los, geh hin'.
"noch einen milchkaffee, bitte".
`es hätte nichts gebracht. guck sie doch an'.
"die frau sagt mir: beweg dich nicht. der sinn
sagt mir: schreib".
h. machte pause. er verspürte druck in der blase. die
zigarette, die er jetzt drehte, wollte er geniessen. er genoß seinen jetzigen
zustand. er hatte es wieder geschafft, sich so weit nach vorne durchzuarbeiten,
daß er sich nicht mehr vorwerfen konnte, eine unterlassung begangen zu haben.
er fand, daß es ihm besser anstand, sagen zu können, er wolle nicht mehr, könne
aber weiterhin, anstatt zu sagen, er wolle, könne aber nicht. sobald er
bemerkte, daß er etwas wolle, es aber nicht könne, sah er sich hinter der zeit
herlaufen, sah sich als ein von allen abgehängter, als einen, der noch weniger
war, als er sich selber erschien. vorallem aber meinte er, daß das die anderen
genau so sehen würden. er empfand sich einfach nackt, von jedermann an- und
durchschaubar, jeder geste und jeden blickes überführbar. und das schlimmste
war, daß die anderen noch so taten, als sähen sie es nicht, um ihn nicht zu
kränken. aber genau das verletzte ihn am meisten, diese rücksichtlose
rücksichtigkeit, dieses andauernde zugehörtwerden.
als er auf dem weg zur busstation eine polizeistreife
sah, sah er sein blatt papier auf dem cafétisch liegen. er hatte es vergessen.
töte, sagte er, der streife nachblickend.
f) degenerationen
h. stand in einer schlange von leuten mit
einkaufswagen. er hatte keinen wagen. es waren nur zwei flaschen saft und eine
tüte milch, die er, zwischen arm und brust gequetscht, einkaufen wollte. ein
altes gesicht eines alten menschen sprach zu ihm hin: "ach, können sie mir
sagen, wo der saft steht, den sie da haben"?
letzter gang hinten links, sagte h. er drehte dabei
nur sein gesicht zu dieser halbfaulen kreatur hin, der körper blieb in
schlangenrichtung. "ach wissen sie" - sie streckte ihre
einkaufstasche zu h. hin und öffnete sie -, "wissen sie, ich hab mir heute
fleisch gekauft, weil meine beiden söhne zu besuch kommen. die kommen ja
selten, nicht? da mach ich immer was gutes, wenn die kommen, nicht wahr? wo
steht nochmal der saft, ihr saft da"?
letzter gang hinten links, wiederholte h., der mittlerweile dieses sprechenkönnende wesen
lidaufschlagslos anstarrte.
"wissen sie", hob die frau erneut an, doch
h. unterbrach prompt. "wie lange wohnen sie schon alleine"?, hörte er sich fragen. er wußte nicht, wieseo er das,
ausgerechnet das fragte. er hatte der sprechmaschine auch gar nicht mehr
zugehört. er wußte scheinbar, was da vor ihm stand und redete.
daß das bei ihm jetzt schon automatisch ging, dieses
ein- und ausschalten, erstaunte ihn ein wenig. diese zielsicherheit, exakt das
richtige programm laufen zu lassen, sas sich nur auf das wesentliche
konzentrierte. diese unabhängigkeit vom material.
"23 jahre", sagte das spurenelement von
mensch in einem tonfall, der zum ausdruck bringen wollte, daß dies die einzige
konversation über dieses thema zu sein hatte.
`warum lebt die noch? warum gibt es keine institution,
die alte menschen schmerzlos tötet'? h. erschrak, als er bemerkte, daß er diese
sätze dachte. `das ist ja nazistisch, du arsch, voll nazistisch'. `nein, das
stimmt nicht. nicht nazistisch, nur ekelhaft. es ekelt mich höchstens, wenn...'.
"der saft, in welchem gang war der nochmal"?
letzter gang hinten links, sagte h. `merkst du nicht, daß die will, daß du den
holst'? `quatsch, die will reden, ihre bubblemaschine laufen lassen, mehr
nicht'.
im grunde genommen war es genau das, diese letzte
stimme in ihm, die angst bereitete. die ihn alte menschen hassen ließ. er
wollte nicht glauben, daß die, die 60 oder 70 jahre hinter sich hatten, immer
noch reden mussten. er hoffte nichts fester als daß sich das mit 30, allenfalls
40 ablegen ließ. er hatte maßlos angst, sein ganzen leben darunter leiden zu
müssen, zuwenig mit anderen zu reden.
aber vielleicht war es bei ihm anders. er wußte, daß
es bei ihm anders war. glauben konnte er es nicht.
mitten im gedanken hörte er die worte
viermarkachtundsiebzig. h. kramte schnell ein fünfmarkstück aus seiner tasche,
sagte "ist gut" und ging zügig hinaus. ist gut, wiederholte er sich,
ist gut.
g) krüpplung
h. stand schon wieder vom bett auf. wieder störte ihn
irgendein krümmel. er hasste dieses ganz plötzliche reiben, das von so einem
krümmel verursacht wurde. so ein nichtschmerzendes picken der haut. wenn er im
bett lag, sollte gefälligst alles weich sein. er hätte sich jetzt nur
umzudrehen brauchen, um dieses krümmel zu eliminieren. er wollte es aber
wissen, schüttelte das plymo aus, legte es zur seite und begann von der
bettmitte aus alle noch so kleinen partikel, die stören könnten, vom bett zu
fegen, zuerst in richtung der beine, dann zum kopf hin hoch. da er alle krümmel
zu der seite hin vom bett fegte, von der er auch ins bett geht, und er meistens
mit seinen noch schweißfeuchten füssen wieder die hälfte des drecks
zurückbrächte, da er sich einfach an den fußsohlen anpappte, hatte er sich
angewöhnt, vor dem zubettgehen, schon darin sitzend, seine sohlen mit den
händen abzuwischen.
trotzdem war morgens wieder ein ganzer krümmelherd im
fußbereich bemerkbar. h. fragte sich, wo die denn jetzt noch herkommen konnten.
er hätte überhaupt gerne gewußt, wie er so ist, wenn er schläft. soetwas
erfährt man ja nie. oder höchstens dann, wenn die frau, die gerade mal mit ins
bett ging, am morgen sagte, sie habe erst sehr spät einschlafen können. aber
auch dann waren die informationen meist dürftig und unbrauchbar, weil sich h.
in teifgreifende spekulationen darüber erging, warum die frau denn erst sehr
spät habe einschlafen können. lag es etwa daran, daß sie noch unbefriedigt war,
oder daran, daß...
h. lag wieder. er war zufrieden. noch 20 minuten,
dachte er, den blick von der uhranzeige zum fernseher zurückwerfend.
h. bekam besuch. frauenbesuch. und zwar von der sorte,
bei der er wußte, daß das ficken auch von der frau gewollt war. das war ihm
immer am liebsten. vielleicht weil es so selten vorkam. genaugenommen fast nie.
ja, im grunde hatte er angst. natürlich sagte er sich,
daß er sich nur sage, er habe angst. allein schon, daß
er zuließ, an angst zu denken, zeigte ihm, daß er ja
keine habe. während dieser überlegungen wanderte eine hand über die matraze,
krümmel suchend. komm, hör auf, in einer viertel stunde ist einsatz und du läßt
hier dein hirn auf volltouren laufen, sagte er sich im gedanken.
er sah sich jetzt sich ablenken. ein frauenarsch, aus
der froschperspektive betrachtet, wurde in ihm vorstellig. der regte ihn an. er
liebte frauenärsche. wunder der natur, wunder der natur, mußte er sich dauernd
wiederholen, als er - wie unter zwang - eine frau sah, sitzend, von der seite,
und die neben ihrer geilen körperhaltung auch noch ihre beine so stark
spreizte, daß sich an den rändern des arsches das fleischige noch straffer dem
druck der jeanshose aussetzte und zur vollsten prallung wurde. wen er ssoetwas
sah, bei welcher frau auch immer, machte sich ein klares gefühl in ihm breit,
eins, das sagte: du wirst dich nie umbringen. oder: das leben hat doch sinn.
manchmal auch: du weißt, was du willst. sobald das klare gefühl ihm aber sagte:
los, du arsch, rangehen. oder: und du sitzt wieder dumm rum und guckst nur zu;
dann war alles aus. dann mußte er so schnell als möglich weg, raus, zurück in
sein zimmer. warum das so war, wollte h. nicht genau wissen. womöglich hatte er
schon eine ahnung von seiner unfähigkeit, frauen auch dann voll und ganz
geniessen zu können, wenn er sie nicht besaß.
h. griff zum schwanz. der war vollhart. das freute ihn.
er war penetrationsbereit. das ist ja sowieso das schlimmste: man ist geil,
richtig notabene, die frau auch, man will eindringen, postiert sich zum
stöpseln, berührt mit der eichel schon die feuchten schamlippeninnenseiten und
merkt urplötzlich, daß der schwanz noch zu schlapp ist, um reingedrückt zu
werden. dann muß in sekundenschnelle entschieden werden: es trotzdem versuchen
auf die gefahr hin, sich lächerlich zu machen, oder langsam entfernen in der
hoffnung, die frau deute es als teil des scharfmachenwollenden vorspiels.
glücklicherweise hatte es h. geschafft, kaum noch
rücksicht zu nehmen. wenn er merkte, er könne, dann wollte er auch und griff
einfach zu.
die angst allerdings, die er hatte, wenn neuerdings
kondome überzurollen waren, warf ihn erheblich zurück. h. griff nach einem
kondompäckchen und betrachtete es. er legte wert darauf, das aufreissen,das herausnehmen, das überrollen, das eindringen in
möglichst kurzer zeit hinter sich zu bringen. für ihn war es unerträglich, ein
kondom über einen langsam in sich zusammenfallenden schwanz zu rollen, und das
auch noch vor den augen der frau. was dann? einfach sagen: pech!, und das kondom wieder abrollen? nein, das ginge nicht.
ein übergerolltes kondom ist definitiv.
h. hasste kodome. er warf das päckchen wieder zurück
hinter das bett.
es klingelte. h. sprang auf, richtete seinen noch
harten schwanz und öffnete.
nachdem sie sich ein paar mal
im bett rumwälzten und h. plötzlich begann, sich auszuziehen, sagte die frau:
ich hab' meine tage. h. machte daraufhin ein enttäuscht-schade-naja-gesicht und
seufzte. im gedanken sagte er: auch nicht schlecht. er fühlte sich unmerklich
leichter.
kaffee?, fragte er sie.
h) unmögliche zeit
h. saß am schreibtisch, nachmittags. er stand heute
schon vormittags auf. einfach so. einfach nur, um vormittags schon wach zu
sein. eigentlich nur, um sich auf das gefühl am nachmittag zu freuen. dieses
gefühl, daß man den vormittag schon hinter sich gebracht hat. so, als könne man
das nicht anders bewerten denn als allgemein akzeptierte begründung dafür, am
nachmittag etwas faulenzen zu dürfen.
h. stellte sich gerne vor, gefordert zu werden. er
wollte kräfte verbrauchen und man sollte ihm ansehen, daß er kräfte verbraucht
habe. unbedingt sollte man ihm das ansehen. zu wissen, daß die anderen wissen,
man habe etwas geschafft; zu spüren, die anderen verstehen, warum man jetzt,
nachmittags, faulenze, ja, sogar ein gewissermaßen unausgesprochenes recht
darauf habe, nachmittags alles etwas ruhiger anlaufen lassen zu dürfen, tat
einfach gut.
h. hätte gerne etwas getan. er glaubte, sich immer
dann am schreibtisch einzufinden, wenn dieser wunsch in ihm herumwilderte. vor
einem block papier sitzend, dann, ließ h. einen ritualgedanken kurz prolog
spielen, nämlich daß das folgend zu schreibende diesmal mehr als nur bedürfnis
ausdrücke, sich doch diesesmal bitte zu etwas wirklichem, gebrauchtem, nötigem
entwickle, diesesmal bitte bitte die jungfräulichkeit verliere oder zumindest
seine handschrift oder doch zumindest eine aufgesetzte zielsüchtigkeit oder
doch bitte zumindest...
wenn er dann fertig war, reichte es ihm schon aus,
wenn er sah, wieviel er schrieb. oder wenn er nur ein drittel wegstrich vom
text. oder einfach, wenn er auf die uhr schaute und feststellte, er habe sich
doch tatsächlich über eine stunde hinweg konzentriert. und dann noch vormittags
aufgestanden: tja, das war schon etwas, das er seiner gefräßigen einbildung
vorsetzen konnte.
h. drehte sich schon die zweite zigarette. und noch
nichts abgesondert. nicht, daß er nichts vorstellig hatte im hirn. es kam ihm
heute so vor, als haben seine hirnbilder mit den in tinte gemalten buchstaben
so viel zu tun wie er mit den hirnbildern zu tun habe: nichts. oder fast
nichts. jetzt müsste man glauben können, dachte h. schlicht glauben, man sei
werkzeug eines auftrages, eines plans, einer macht, meinetwegen auch einer
wahrheit. glauben, nur ein mittler zu sein zwischen welten, die nur wenige
anzapfen können, nein, andersrum, die welten zapfen diese wenigen an, um die
gesammelte scheiße durch sie durchzuspülen; so sieht es doch aus. h. erschrak.
was war das? eine neue stimme, von der er noch nichts wußte? schnell versuchte
er sich zu erinnern, was da gerade in ihm dachte, und schrieb es. sein erster
satz: die welten zapfen diese wenigen an, um die gesammelte scheiße durch sie
durchzuspülen, so sieht es doch aus. wunderbar. und gleich einer, der seine
bedeutug um 180 grad dreht, wenn das zweite "durch" weggelassen wird.
wahnsinn, dachte h. einfach durch. das wurde sein zweiter satz.
i) unzeitliche möglichkeit
h. saß im zug. ein abteil, das leer war, nur da wollte
er sich setzen. er fand eins. in dem saß er jetzt. und ärgerte sich, warum er
sich nicht eins gesucht habe, in dem eine junge frau saß, aus dem fenster
blickend vielleicht und sich just im momente drehend, als `du vor der abteiltür
stehst und sie jetzt anschaust. sie, ihr blick nicht deinem weichend, mit
offensichtlichem gesicht, eins, das du nur dadurch aushalten kannst, die tür zu
öffnen, einzutreten, die tür zu schliessen, die gardinen zuzuziehen, sie zu
küssen, die schuhe auszuziehen, die hose auszu...'
warum die schuhe?, denkt h.
`die brauchst du doch nicht auszuziehen. nur die hose muß runter, die...'
`okay, ist gut. woher sollst du es auch wissen. hast
es noch nie im zugabteil gemacht'.
eben, sagt sich h. er sagt es laut, um anzuzeigen, daß
er bereit, sich zuzustimmen.
plötzlich fühlte h., daß er
nicht mehr weiter diesem bild zustimmen konnte. es quälte ihn förmlich, daß er
es nicht zuende erleben konnte. das bild natürlich, das erleben beim zusehen.
zu glauben, etwas hautnah, wirklich mitzumachen wie das, was er sich eben noch
vorstellte: dazu war h. nicht mehr fähig. oder nicht mehr bereit. er hatte
nämlich ein sicheres gefühl, das ihn denken ließ, er werde nie das, was er
will, auch machen können, das, was er machen will, auch nie vorfinden. die
überwindung, vorfindliches zu ändern, um willen zu machen, werde nie
ausreichen, um sich zu machen.
h. hatte schon viel von sich verkauft. nicht alles,
nein. der teil, der für alltagsentscheidungen zuständig war, hatte er noch
unter kontrolle. die entscheidung etwa, in ein leeres abteil zu gehen und nicht
in eines, in dem eine junge frau sitzte: die war von ihm, das war sein produkt.
das ist also deine richtung, durch arsch, beschimpfte er sich jetzt. im
gedanken.
`red' keinen schwachsinn'.
`das ist kein schwachsinn, schwachkopf, es stimmt
einfach'.
`jaja. jetzt stimmt wieder alles'.
`genau, du vollidiot. bist nur bei dir, wenn's nicht
klappt'.
aufhören, intervenierte h. laut.
`hält er's schon nicht mehr aus oder was?'
`halt's maul jetzt'.
`ich laß dich so lange zappeln wie es mir gefällt.
...los, wehr dich doch, du trauriges arschloch, komm, du sack, du...'
aufhören, flüsterte h.
`tja, immer noch dieses bürgerliche in den knochen,
dieses infantile gestammele. schau dich doch an, sozialkadaver, mehr nicht. du
hast endgültig den zug verpasst. geräuschlos leben, mehr bleibt dir nicht, im
günstigsten falle'.
das stimmt nicht, sagt sich h. laut.
`doch, es stimmt'.
nein, sagt h.
`es stimmt, du bist so'.
`nein!'
eine frau läßt wie verschreckt ihre hand vom türgriff
und geht weiter. ganz kurz nur sieht er ihre augen. verwirrt. hat die mich
gehört?, fragt sich h. ... es könnte also sein, dachte
h. und grinste.
j) mit apathie dabei
anstatt sich einfach ins bett zu legen und irgendetwas
zum lesen vor die augen zu halten, bemerkte h. sich plötzlich beim
schuhe-anziehen. er war überrascht. er hatte bis eben überhaupt keinen gedanken
gedacht, der ihn zum rausgehen veranlaßt hätte. zwar hatte er die letzten zwei
tage außer der toilette nichts anderes gesehen als sein zimmer. und fernsehn
natürlich. daß er jetzt so einfach überrumpelt wurde, freute ihn.
du bist also doch nicht ganz einverstanden, was?, sagte er sich. die tatsache, daß es draußen kalt war -
januar - ließ vermuten, daß er der kälte den vorrang einräumte gegenüber der
wärme des zimmers. er brauchte jetzt wohl die kälte mehr als er sein zimmer,
trotz wärme, hasste. daß er allerdings nichts so sehr hasste wie kälte, ließ
ihn denken, daß es ihm vielleicht schlecht gehen könnte, jetzt. verdammt
schlecht.
glücklicherweise konnte h. immer damit rechnen, in
zeiten verdammten schlechtergehens auf eine verstärkte gefühlstaubheit
rückgreifen zu können. unbehagen bereitete es ihm nur, daß er, wenn es ihm
wieder besser ging, diese taubheit nicht vollständig abstreifen konnte. er
hatte dann das gefühl, daß ein bestimmter modus der anästhetisierung sich in
ihm eingenistet habe. quasi als abfall übrig blieb. und nur das wissen, dieses
anhäufen des abfalls noch mitzubekommen, ließ ihn sicher sein, noch nicht ganz
abgefallen zu sein.
daß er jetzt die kälte wollte, kam h. als ein
deutliches zeichen dafür vor, der taubheit entkommen zu wollen. und daß es ihm
schlecht geht. sehr schlecht. im gedanken sagte er sich, er sage seiner
taubheit den kampf an. das klang besser. auf alle fälle war etwas aussichtiges
vorhanden.
beim gehen sah er sich die fenster der hauswände an.
manchmal war noch licht. und diese sonderbaren, flackernden lichkränze der
weihnachtszeit, mit roten und gelben birnchen abwechselnd bestückt. es sah aus,
als wollte dieses lichtflackern signal geben. h. stellte sich vor, es hätte
sich verselbstständlicht, daß, wer sich alleine fühlt und gerne gesellschaft
haben möchte, dies mittels dieser lichtsignale am fenster kundtut; daß sich im
laufe der jahre, der jahrzehnte eine richtige lichtsignalkultur entwickelt
hätte. h. begann zu differenzieren: `roter lichtkranz im an-aus-modus: eine
frau ist alleine und möchte gern mit einem mann zusammen sein; ficken möglich.
roter lichtkranz im permant-an-modus: eine frau ist alleine und möchte gern mit
einem mann zusammen sein; ficken unmöglich. gelber lichtkranz im an-aus-modus:
ein mann ist alleine und...`
`eh, du utopist, kannst du mir mal sagen, welche frau
so kontakt aufnehmen würde? als ob die sich freiwillig vergewaltigen liessen,
oder was?'
`aber es wäre eine zeit, in der es selbstverständlich
wäre, daß...'
`und wer reguliert dann deinen kontaktverkehr, du
menschenfreund?'
`keine ahnung, noch keine gedanken gemacht'.
ah so, noch keine gedanken gemacht, spinner, fuhr es
h. durch den kopf. so weit wollte er gar nicht denken. er wollte sich nur
vorstellen, daß...
`siehst du, du idiot, alles geht in die hose. alles.
ausschweifungen aus freundlosigkeit, mehr nicht, du träumer. versteck' dich
schnell wieder, bevor...'
h. gab auf. er hatte keine kraft mehr, sich seiner
phantasie weiterhin unterstützend anzubieten. ihm wurde aufeinmal gewahr, daß
er vor einem haus stand mit lichterkränzen an den fenstern. er muß da schon
länger gestanden haben. mindestens eine minute, rief er sich zu. mindestens.
naja, vielleicht auch höchstens. aber auf jeden fall hast du es nicht bemerkt,
dachte er.
als er weiterging überkam ihn das gefühl, gewonnen zu
haben. was und gegen wen gewonnen, wußte er nicht. einfach gewonnen halt.
`vielleicht dazugewonnen'.
`dazugewonnen? stehengeblieben, du bist
stehengeblieben, mehr nicht. du stehst schon seit jahren irgendwo und nirgends
dumm rum. leg'dich wieder ins bett und schau in die glotze, das steht dir
besser, du wrack!'
gewinnen ist eigentlich der falsche ausdruck, sagte h.
vielleicht sollte man mehr verlusten, dachte er. zu sich. und kein ausdruck im
gesicht.
k) alltagskunst
h. brach durch. er konnte sich nicht mehr aushalten.
er hatte keine ausdauer mehr, sich jeden tag, jede stunde, jeden moment in
begleitung zu haben. er saß in der u-bahn und schloß die augen. er wußte nicht
mehr, warum er hier war, nicht mehr, wohin er fahren wollte. die gesichter der
anderen hielt er nicht mehr aus. die ansage vor jeder station hielt er nicht
mehr aus. er öffnete die augen. ein fetter mann und eine fette frau kamen
zusammen durch die tür. der mann setzte sich links, die frau rechts. der gang
dazwischen. als der mann immer noch fragend zur frau blickte, sagte diese: ich
sitze in der u-bahn immer rechts. der mann stand auf und setzte sich neben die
frau.
h, erkannte, daß er anders sei. noch nicht ganz dumm.
aber auch nicht ganz verzweifelt. nicht mal begeisterung am möglichen besaß er
noch.
grinsen. indifferentes grinsen. und wieder durchbruch.
h. durchbrach sich. alles wurde geschichtslos. hintergrundlos. völlig reduziert
auf die situation. nur die situation blieb übrig. nichts dahinter, davor,
darin. nur die situation. nicht mal eine imaginierte kette, die eine zweite
situation mit der ersten anschliessen könnte. nichts. situation und durchbruch.
abbruch, dachte h.
wegziehen, umziehen, bücher lesen, ficken, zuhören,
sehen, essen, reden, grinsen: so what?
l) resumée
gehen und gucken auf
seltenst rein oder in
vorbeigehend an angeschautem
ohne es sein zu lassen
nur durch gehen wird was vorhanden
sonst bliebe nur stillstehen
ohne irgendwas um sich
vorrübergegangen
nichts zurückgelassen außer
die strecke mit angeschautem
im kopf
im kopf den bildschirm für danach
der anschaut, vorallem aber:
leute, die nicht grüssen beim
entgegenkommen
m) vorstellungsgespräch
natürlich kannte er auch das selbstgefühl, das fähig
war, ihn das wort glücklich zu benutzen, wenn gefragt wurde, wie es ihm denn so
gehe. h. sagte dann: ich bin glücklich. oder: schlecht, ich kann nicht klagen.
manchmal auch: ich kenn mich noch nicht so gut aus.
paradox war für ihn immer zu sehen, daß, sobald er
sein selbstgefühl in diese worte fasste, nur noch diese worte übrig blieben,
so, also ob es sich von den worten hat aufsaugen lassen. natürlich war das dann
nicht mehr mitteilbar und gehörte schnellstens in die literatur abgeschoben. h.
verstand es mit der zeit, auf solche fragen solche antworten zu geben, die jede
weitere frage zu ersticken drohte. manchmal antwortete er: 38. oder: wulst.
wenn es ihm schon ärgerlich zumute war: wen?
am liebsten waren ihm gesichtsausdrucke, die eindeutig
auf kein verlangen nach solchen antworten hinwiesen, die einfach nur
ausdrückten: mir ist egal, wie es dir geht. mir ist es gleichgültig,was du versteckst. es interessiert mich nicht, was du
denkst.
solchen menschen fühlte er sich auf diffuse weise
nahe.
n) wie lange noch?
die aussicht von hier war ungewöhnlich. bis zur
anderen stadtgrenze im westen war zu sehen. vorallem lichter von autos und
straßenbeleuchtungen. auffallend die lichter aus den hochhausfenstern.
der entschluß, am abend noch auf die bergähnliche
anhöhe zu gehen, hatte h. schon seit ein paar tagen. in ihm rumorte der drang,
äußerliche distanz zu erleben. er wollte seine innere leere endlich mit einer
passenden, äußerlichen schicht in zusammenhang bringen. h. wußte von sich, daß
er einer derjenigen sei, die diese distanz, wie er sie jetzt hatte, immer
benötigten. immer. natürlich fehlte sie immer. und das schlimme war, daß sich
ihr fehlen immer bemerkbar machte. h. hatte zwar im laufe der zeit eine beinahe
pervers zu nennende fähigkeit der abstraktion entwickelt, die ihn streckenweise
aus dem alltäglichen zeichen-, symbol- und menschenmaterial herausreissen
konnte. es half aber nicht. immer noch nahm er gespräche wahr, gesichter,
reklame, scham, unvermögen, verhalten und vorallem seine dummheit. hier oben
sah er davon nichts. er sah nur die umrisse und lichter der stadt, quasi das
ganze ohne inhalt.
mit bäumen, sträuchern, waldähnlichem oder gar einem
richtigen wald konnte h. schon lange nichts mehr anfangen. h. versuchte zu sich
zu sprechen. es gelang nicht.
beim zurückgehen fragte er sich, ob er noch ins kino
gehen solle.
teil 2
wann genau er bemerkte, daß sich seine umwelt nicht
mehr deuten ließ, wußte er nicht. er hatte auch nur ein-, zweimal versucht, den
genauen zeitpunkt des abbruchs ausfindig zu machen. als er die sinnlosigkeit
dieses versuchs einsah, hörte er auf. einzig die vage ahnung, daß sich in
nächster zukunft mit ihm, genauer: mit seinen wahrnehmungen einiges abspielen
würde, versetzte ihn in den zustand, wach zu bleiben und zu beobachten. immer
noch schaute er leute an wie etwas, das es bald nicht mehr geben wird, schaute
ihnen meist auf die augen, so, als gäbe es dort ein wiedersehen. beim
hinschauen dachte er oft daran, wovon er im moment des hinsehens absah, daran,
was er nicht sah, wenn er sah. nur bei äüßerst attraktiven frauen hatte er
dieses gedachte nicht. etwas höheres gibt es so und so nicht, dachte er
manchmal, einer frau nachblickend. nur bei frauen entstand in ihm soetwas wie
eine realzeit von frau, hirn und ihm, eine selbstbezüglichkeit seines schauens.
ansonsten waren die meisten beobachtungen nicht mehr als regalfüllungen seines
gedächnissupermarktes, bilderware halt. er konnte die unveränderlichkeit,
seinen augen ausgeliefert zu sein, mit immer weniger gelassenheit ertragen. vor
jahren wollte er an sich ein selektionskonzept ausprobieren, mit dessen hilfe
er nur das sehen wollte, was er sehen wollte. daß er sich dafür von den
äußerlichkeiten, den zeichen und figuren, den hintergründen und den codes
seiner umgebung unabhängig machen mußte, wußte er. überrascht hat ihn
allerdings der uneinholbare transfer ebendieser äußerlichkeiten in sein hirn.
daß er mit soviel außen in seinem innen aufgefüllt war, hätte er nicht gedacht.
nachdem er einsah, daß es strategisch notwendig war, sich von sich unabhängig zu
machen, ohne dabei auch nur ein jota anzukratzen, das orginär von innen kam,
kurz: daß er einer selektionskompetenz bedurfte, um eine selektionskompetenz zu
bilden, ließ er auch das fallen. mit der zeit verlagerte er die anstehende
eigene dekomposition auf die musik, die er hörte. in ihr, in ihrer brachialen
banalität, in ihrer verrohten brillanz, in ihrer pompösen minimalität hörte er
sich, hatte er das gefühl, nicht nur er höre der musik zu, sondern die musik
auch ihm: die musik gehöre ihm. zum glück konnte er dieses verhältnis keinem
anderen menschen vermitteln.
es langweilte ihn zusehens, leuten, die er nicht extra
ernst nehmen mußte, um sie ernst zu nehmen, mitzuteilen, was genau etwas war,
das für ihn sogar die sprachliche verdopplung aushielt, ohne negiert zu werden.
wenn er dann noch zu hören bekam, was die hörer davon hielten, was er gerade
sagte, machte er schnell abbruch. überhaupt kam es ihm zuweilen so vor, als
sprächen die leute miteinander wie solche, die nur daran interessiert sind, was
wieder verdeckt, unausgesprochen bleibt während des sprechens. warum er nur so
wenige sah, die schlicht schwiegen, blieb ihm unverständlich. aber genau dann
korrigierte er sich. daß er sich nämlich, wenn für ihn etwas unverständlich
erschien, eingestehen mußte, von der perspektive der verständlichkeit aus die
umwelt zu sehen, wollte er nicht mehr wahrhaben. war etwas nicht mehr
verstehbar, dann war es okay, weil es nichts gab, das verständlich zu sein
hatte. sobald er sich ein bild zu machen versuchte, eine einheit von dem, was
da vor ihm rumtanzte und kroch, bewirkte ein von ihm noch nicht lokalisierter
mechanismus, daß sein konstruieren die attitüde eines malenden kindes annahm,
eines kindes, das den pinsel einfach wild hin und her bewegt, ohne zu wissen, daß
es malt. er konstruierte unvereinbarkeiten, ohne das jeweils andere, das zu
vereinbarende mit in die konstruktion einfliessen zu lassen; er bastelte an
wahrnehmungen, die ausschließlich waren, ohne an einschließbares zu denken; er
beobachtete figuren, die niemals in einem hintergrundverhältnis vorstellbar
waren; er bedachte motive, ohne jemals handlungen zu erwarten; er
kategorisierte verhaltensweisen, die in keiner weise soetwas wie ein subjekt
zuliessen. gewissermaßen zweidimensional blieb das, was er sich
zusammenstellte. und er stellte es nur aus dem verlangen zusammen, es besser
einzurollen, besser einzupacken in seinem schädel. quasi platzsparend
abzulegen.
wenn er so dasaß, an einem tisch eines cafés, kaffee
bestellend, zigaretten auf die tischplatte werfend, das bein über das andere
schlagend: dann geschah nichts mehr. nichts konnte passieren, nichts sich
bewegen, nicht mal gedanken. nur noch augen, die sahen, und er, dem sich ab und
an bemerkbar machte, daß er es war, der da saß und aus augen sah, die seine
waren. und nur die differenz, daß er sich nicht sehen konnte - bestenfalls
seine hände, seine arme, seine beine -, dafür aber andere im ganzen,
ließ ihn sicher sein, dort zu sitzen, wo er es noch vor ein paar minuten
hinsetzen wollte.
an abenden, die sich nur als fortsetzungen von
sonntagnachmittagen erfahren ließen, konnte es niechtsdestotrotz vorkommen, daß
er sich vorstellte, einen menschen anzusprechen. nicht, daß ihm die wortwechsel
wie "einen milchkaffee, bitte" oder "zahlen!", "einmal
döner, bitte" oder "einmal kino a" zu wenig gewesen wären. er
empfand diese funktionale verständigung als etwas mit ihm nicht das geringste
zu tun habendes, als eine verständigung, die eben keine anderen sich
verständigenden zur verfügung hatte wie menschen. nein, es freute ihn, daß er
es war, der den milchkaffee mit dem geld in verbindung treten ließ, auch wenn
es nur ein wort war, das er in diesem verkehrsspiel zu sagen hatte:
"zahlen!" eben.
das bedürfnis, sich selbst in der vorstellung einen
menschen ansprechen zu sehen, war wirklich nur bedürfnis, keine realität. es
wollte ihm nie als neugierde erscheinen, einen menschen kennzulernen. er wollte
ja keine menschen kennenlernen. dazu waren sie zu wenig da für ihn. bestenfalls
hätte er mittels komplizierter induktionen heraus bekommen, wie der gerade neu
kennengelernte sich der sprachspiele bediente, ob er eine eigenwillige
gebräuchlichkeit besaß, ob er noch merkte, wann er redete und wann das reden
ihn etwas sagen ließ, kurz: er hätte bestenfalls ein beredtes schweigen
aufnehmen können, denn nur noch das konnte und wollte er ertragen. da es ihm
jedoch als gleich egal erschien, in raumzeitlicher nähe mit einem menschen zu
schweigen oder mit einem fernseher, einer zeitung, einer cd, einer mahlzeit
oder mit sich, gab es nichts mehr, das ihn die kennenlernnähe zu einem menschen
als vorzuziehendes einbilden konnte. nein, wenn er was von einem anderen
wollte, dann war es schlicht das ficken. mit frauen. dazu mußte er - leider,
wie er fand - immer noch sprachliche verständigung spielen. sie besaß für ihn
aber keinen anderen status als etwa den einer bestellung eines kaffees.
natürlich wollte er nicht die bedienung erreichen, sondern den kaffee.
genausowenig wollte er frauen, sondern nur das ficken mit ihnen.
genaugenommen wollte er nichteinmal das. er hatte
schon eine ahnung davon. im grunde mußte er sich einfach bemerkbar machen
können, daß er noch ficken wolle, um sich damit zu demonstrieren, daß es für
ihn noch etwas gab, für das er handeln in kauf nehmen würde. er wollte sich
nicht eingestehen müssen, daß sein letztes wunschreservat auch nur illusion,
auch nur in gewohnheit verflüssigte simulation war. der gedanke, er sei nichts
anderes als eine von lust- und genußideologien deformierte verkörperung
elementarer anhedonie, die immer dann unausweichlich wirklichkeit würde, wenn
alle illusionen weggeräumt wären, bereite ihm mehr angst als zynische
selbstgenügsamkeit. wofür brauchte er dann noch öffentlichkeit, wofür noch
öffnungen?
er erlebte sich in solchen momenten des abbruchs und
der auflösung immer als einen, der sich verdeckt gegen das zur wehren suchte,
was er da dachte. das regte ihn zwar nicht sonderlich auf, aber es war
wenigstens etwas von solcher dichte, die es ihm unmöglich machte zu denken, er
sei schon tot. so eine erlebbare differenz zu sich mußte ein anzeichen dafür
sein, daß noch etwas da war von ihm, das es für notwendig hielt, sich zu
artikulieren. weil er davon überzeugt war, nicht mehr in eine naivität
zurückzufallen, konnte dieses sich artikulierende nur etwas sein, das auf
lebenswichtiges hinweisen wolle. nur aus diesem grund nahm er sich überhaupt
noch ernst. er war nämlich der meinung, daß er entweder lebenswichtiges
unterlasse oder lebensunwichtiges betreibe, wenn er nicht mehr auf sich hörte,
wenn er mit sich so umginge, wie er andere umgeht.
das war sein alltäglicher kleiner kampf. die meinung,
auf sich zu hören, hatte nie eine längere lebensdauer, war niemals abstrakt
oder situationslos. er mußte sie immer und immer wieder neu bilden, sie in immer
variierender form vorsagen, und zwar so, daß genau das ich von ihm erreicht
werden mußte, in welchem er sich gerade nicht befand. zum glück verfiel er auf
einen bequemen trick: weil er keine lust hatte, mit sich doppelte buchführung
zu betreiben, tat er so, als seien ihm die meinungen, die er sich bildete, um
auf sich zu hören, gleichgültig. und in der tat waren sie ihm gleichgültig,
wenn sie dort ankamen, wo sein ich schon war. konnten seine meinungen dieses
ich, das er war, anstandslos passieren, wußte er genau, daß seine vorstellungen
von der lebenswichtigkeit keinen anlaß boten, ihn dort zu beunruhigen, wo er
nicht war mit seinem ich. kamen seine meinungen also im inneren irgendwo an,
wußte er genau, wann er auf sich hörte und wann er so tat, als höre er auf
sich. wenn er so tat, als höre er auf sich, wußte er, daß er es eigentlich
nicht nötig hatte, sich bis zu seinem ich zu verfolgen. wenn er auf sich hörte
und zugleich wußte, nicht zu simulieren, wußte er, daß er noch fähig war, für
ihn wichtiges an sein ich herantragen zu können. war dem so, kam er immer mehr
dahin, auch dann sofortigen abbruch zu tätigen. ihm reichte es aus, das für ihn
lebenswichtige daruaf zu reduzieren, daß er noch wußte, was wichtig war.
welchen inhalt dieses lebenswichtige dann annahm, interessierte ihn als bei
sich seiendes ich wenig.
mit solcherart hirn- und lebensgrüst ausgestattet
machte es ihm kaum sorgen zu wissen, daß und was die umwelt über ihn dachte.
daß es in keinem fall mehr sein konnte als ungenau, verzerrt und dysmotiviert,
traf ihn aber doch. sehnte er sich nicht danach, von einer frau von oben bis
unten dechiffriert zu werden? wünschte er sich nicht, einmal seinen eigenen
arsch aufgerissen zu bekommen? malte er sich nicht desöfteren aus, wie eine ihn
attraktierende frau sich zu ihm an den tisch setzen würde und anfinge, in
klaren, harten worten seinen eigenen strip vorzuführen, so, daß er sich am ende
nur noch als nackte, sezierte leiche würde empfinden können? aber ja doch. was
sie zu sagen hätte, wußte er eigentlich schon lange selbst. informationsmässig
würde für ihn aus ihm nichts rausspringen. faszinierend fände er alleine, wenn
die frau alles das aufzählte, was er gerne hören wollte. ihn interessierte
quasi nur, daß all das beantwortet werden würde, was er auf seiner abfragliste
stehen hatte. er würde beim anhören dieser ihn treffenden sätze einfach nur
abhaken, und nur das, das abhaken-können, reizte ihn. er wollte dann zu sich
sagen können: "schau, es gibt noch jemanden, der sich mit dir beschäftigt.
schau, bist mehr als nur dein körper mit hirn und sprache".
träfe er solch eine frau, das fühlte er, dann würde
das wort chance wieder sinn bereiten können. er müßte einfach zwischen sich und
der frau einen kontakt installieren, er würde dafür sogar reden und dinge tun,
die ansonsten nur ekel in ihm wachsen ließen...
die regel sah jedoch vor, daß solche frauen ausnahmen
zu sein hatten. um diese regel einigermaßen ertragbar auszuhalten, versuchte
er, frauen ohne ansehung ihres aussehens zu überschätzen. er unterstellte
schlichtweg, daß sie fähig waren, zwischen brauchen und wollen, zwischen wollen
und können, zwischen frage und antwort zu unterscheiden. fragte er
beispielsweise eine frau, ob sie mit ihm kommen wolle, da er lust auf sie habe,
so tat er dies mit der erwartung, die frau empfände die frage nur als frage,
als ganz selbstverständliche frage, wie etwa 'geben sie mir feuer?' oder 'sagen
sie mir die uhrzeit', und die dann entweder mit ja, nein oder mit 'ich weiß
nicht' antworten könnten. war die reaktion einer frau auf solch eine frage eine
mischung aus implosion, verunsicherung, empörung und versteckter lust, also so,
daß er noch nach zwei stunden dummen rumstehens und -redens keine antwort
bekommen haben würde, machte er sofort abbruch.
manchmal beneidete er sich, wenn er irgendwelchen
typen, mit frauen an tischen sitzend, beim quatschen zuhörte, und die frauen so
taten, als interessiere es sie, was sie da hörten, so taten, als interessiere
es sie, was sie dann selber losbrabbelten, wenn es das ritual vorsah, daß sie
jetzt etwas zu sagen hatten, um der angst des langsamen verstummens zu
entweichen. er genoß die blicke gelangweilter frauen an solchen tischen, die
oft ihm galten, mit einer art offensiver blickantwort, mit einer art
verständnis, sich-anbietung und einem ausdruck, der eindeutig zu signalisieren
hatte, daß er nicht verstehe, wieso sie, die frauen, es mit solchen typen, mit
solch dummdumpfer konversation überhaupt aushalten konnten. in solchen
selbstverfassungen, in derart wahrgenommener bildhaftigkeit von leuten, die
immer noch versuchten, sich in rohfassung zu belassen, wurde ihm zunehmend
deutlicher, wie total er eine bestimmte, floskelhafte humanitätsattitüde
abgelegt hatte, wie wenig er das dasein der leute als etwas an sich seiendes,
als per se-haftiges zu deuten verstand. er hatte das gefühl, dieses
zurschaustellen, dieses immer-wieder-hinlaufen zu noch verbleibenden
pseudoöffentlichkeiten wie cafés, kneipen, theatern, veranstaltungen - die alle
nur davon lebten, von leuten noch als öffentlichkeitsräume interpretiert zu
werden - stehe dem aufs-kloo-gehen, dem ins-bett-legen, dem
nach-einem-buch-greifen in nichts vor. er meinte, die leute täten dies nur,
weil es halt usus ist, abends in die kneipe zu gehen, ins kino, ins theater,
genauso gang und gäbe wie das bedürfnis nach sekretierung, nach einem guten
essen, einem guten orgasmus und so weiter. die öffentlichkeit war nichts mehr
qualitativ wichtiges, nichts mehr gesellschaftlichkeit dichter zum ausdruck
bringen könnendes, nichts elementar notwendiges oder gar gesellschaftliches und
kulturelles überhaupt erst konstituierendes, sondern nur noch eine art, seine
zeit mit betreib zu vertreiben, quasi nur noch eine nummer unter vielen auf
einer fernbedienung, beliebig an- und austippbar, ein part in einem
freizeitset, den kriterien unterhaltend oder öde unterworfen. zu denken, hier
passiere etwas, das mehr sein könnte als unkritisch angelerntes kritisieren von
angeschautem, zugehörtem, gegessenem, war für ihn schon ein denken, das er
hätte archäologisch rekonstruieren müssen, wenn es ihn interessiert gehabt
hätte.
überhaupt keinen, gäbe er zu antwort, fragte ihn
jemand, was denn der unterschied sei zwischen einer musikantenstadelshow und
einer life-performance, die das publikum als publikum attackieren würde.
natürlich fragte ihn niemand danach. er konnte es noch immer nicht sein lassen,
antworten auf fragen zu geben, die ihm überhaupt nicht gestellt wurden. war das
etwa ein wink, der ihm anzeigen sollte, daß er immer noch was zu sagen hatte?
aber er wollte doch was sagen, was zu sagen haben. nur nicht mehr erzählen. das
lag ja im trend, dieser narrative imperialismus, vor nichts halt machend, nicht
einmal die tagesthemen konnten sich dieser reromantisierung des mitteilens
entziehen.
selbstverständlich lehnte er diese von jeglicher
wirklichkeit befreite geschwätzigkeit nicht kategorisch ab. wo er sie einsetzen
konnte, so, daß es ihm hilfreich war, da setzte er sie ein. wenn er
beispielsweise nach einem fick neben der frau lag und den drang verspürte,
jetzt eigentlich auf der stelle abzuhauen, andererseits aber zu faul war, aus
dem bett zu steigen, stellte er unvermittelt ein bis drei fragen. aus erfahrung
wußte er, daß sie sehr gerne von sich erzählten, von erlebtem und zukünftigem,
kurz: die frau schaltete ihre bubblemachine ein. es entstand dann für ihn ein
gutes gefühl: er lag da, die leere genießend, neben ihm eine einen
geräuschteppich strickende schöne kreatur, der es freude bereitete, von sich
erzählen zu können, die wärme des bettes, die gewißheit, bald müde zu werden,
das aufregende spiel, ohne hinzuhören ab und an umleitungsfragen
dazwischenzuwerfen, die auch noch treffen mußten, die richtige einschätzung von
geräuschpausen, die nach ca. einer halben stunde unvermeidlich eintraten, die
passende placierung von empörungs-, beschwichtigungs- und
einverständnislauten...
irgendwann hörte er das
gebrabbel so, wie er musik aus einem nebenzimmer hörte. dann schlief er schnell
ein.
vorausgesetzt, er schätze sich richtig ein, so befand
er sich in einem selbstbildausschnitt, der nicht mehr besser werden konnte. er
dachte, daß alles weitere an zeit, umgebung, sich und geld nur verkommene
ausflüsse seiner jetzigen ist-heit sein werden. ja, daß letzlich kaum noch
etwas wird mit ihm, sondern er von dem zu zehren habe, was er jetzt schon ist,
in seinem selbstbild seiner ist-heit. er konnte das auch anders gegenwärtig
machen. dann nämlich formulierte er sich an, daß mit steigender ausfransung
seines bio-, sozio- und psychographischen materials auch die kraft zur
impliziten illusionierung ausfransen müsse. so wie horkheimer wollte er
allerdings nicht enden. jegliche reorganisation von glauben an
metagesellschaftliches, jegliche hypostasierung von etwas, das mehr zu
beanspruchen suchte als alltäglichste alltäglichkeit zu sein, bereitete ihm
unbesehene abwehr. seine äußerste, strapazierteste grenze war die, immer noch
ein wissen davon, was uneigennützigkeit zu bedeuten habe, bei menschen zu
vermuten. daß diese uneigennützigkeit aber dechiffriert, formuliert, artikuliert,
organisiert oder gar politisiert werden könnte, und zwar so, daß die
gesellschaft als bestehende gesellschaft in mitleidenschaft gezogen werden
würde: das kam ihm so möglich vor wie gewaltfreiheit, also gar nicht.
vielleicht ein hang zur sentimentalität, der in ihm
immer wieder das auferstehen ließ, wovon er sich doch längst verabschiedet
glaubte. womöglich dauerte solch ein abschied länger als man denkt. vielleicht
hört er nie ganz auf, der abschied. wie auch immer, es blieb etwas vertikales,
etwas transstrukturelles in seinem hirn, etwas, das in
eventuell auftretenden krisen als identitätsmaterial auszuschlachten war. wäre
er `68 mehr als nur kritischer beobachter gewesen? wäre er `33 mehr als nur
unkritischer mitläufer geworden? ist er heute einer, der mehr tut als bloß
genüßlich der gesellschaftlichen komatisierung beizuwohnen? zum glück stellte
er sich solcherart fragen nur im zustand zynischer aufgeladenheit. er billigte
sich dann nur noch die vitalität einer veralteten prothese zu, den charme eines
harnröhrengeschwürs oder die handlungsfähigkeit eines intellektuellen. hatte er
diese sichtweise mehr oder weniger verlustreich erreicht, war er wieder fein
raus. gleichzeitig aber auch nicht. es stieß ihm nämlich unangenehm auf, daß er
weiterhin - wenn auch zynisch modifiziert, oder besser deformiert, aber
nichtsdestotrotz - positiv von und über sich denken wollte. keine einfache
positivität, nein. sondern eine, die erst ein nullsummenspiel hinter sich zu
bringen hatte, eine, die durch rücksichtslose benennung des negativen
ebendieses negative abschwächte, weil es nicht die kraft zu entwickeln
vermochte, ihn an der benennung des negativen zu hindern. denn das war doch
positiv, oder?
nichts an positivität konnte er aus der tatsache
ziehen, daß zwar im nichtöffentlichen umgang mit menschen ebendieser umgang
davon bestimmt zu sein hatte, den menschen, aber nicht das, was er spricht,
ernstzunehmen, dieses kluge verhalten aber völlig verschwand, sobald der umgang
politisch wurde. hier glaubten die leute von denen, die was sagten, sie hätten
was zu sagen, ja, sie nahmen sie immer so ernst, daß sie sogar alle 4 jahre den
ernstgenommenen ihre ernstnehmerei bestätigten. so was fand er ekelhaft. und
dumm. einfach negativ. fragte er sich dann aber, für was es negativ sei, fiel
ihm immer etwas ein, das mit sozialismus zu tun hatte. und wenn ihm das wort
sozialismus einfiel, fühlte er sich wie jemand, der immer und immer wieder im
spiegel seine zerquetschten hände betrachtet, die ihm vor jahrzehnten in die
maschine gerieten, als diese schneller gestellt wurde. diese art machoismus
befand sich aber kurz vor seiner brainmässigen integration, so daß auch das ihm
bald nichts mehr ausmachen würde. so dachte er zumindest.
für h. gab es immer wieder anblicke zu erleben, auf
die er zwar nicht gern verzichtet hätte, die in ihm aber etwas erzeugten, das
unangenehm war, ja unannehmbar. ein schaufensterbummelndes päarchen etwa,
modisch gekleidet, das bei jedem fenster anhält. der mann steht dumm rum und
heuchelt teilnahme, die frau stößt undefinierbare laute von sich, der mann
nickt oder stimmt zu, nach 20 sec gehen sie weiter zum nächsten fenster und so
fort. als seien es nicht nur völlig andere exemplare der gattung mensch,
sondern exemplare einer völlig anderen menschengattung, empfand h. und damit
die uneinholbare zeitdistanz. gleichzeitigkeit von ungleichzeitigkeiten. daß
die zeit noch allen zur verfügung stehen sollte, kam ihm unwirklich vor. ihm
wollte sonst nie in den sinn, wieso sich die menschheit seit menschen gedenken
immer nur daran abmühte, gemeinsamkeit im tod zu erzeugen, nie aber im leben.
wenn er so ein schaufensterbummelndes paar sah, erschien ihm nichts richtiger
als das. einmal wurde h. aufgefordert, ein wortspiel mitzumachen. der spieler
sagte drei begriffe hintereinander und h. sollte ohne zögern einen vierten dazu
äußern. sex, macht, geld...sex. h. fiel nur das wort sex ein. gedacht hatte er
aber das wort gerechtigkeit. daß es pure gerechtigkeit nicht gibt, war ihm
schon klar. sollte es gerechter sex oder besser sexuelle gerechtigkeit heißen?
in solchen momenten dachte er ans duschen. einfach
duschen. das schlimmste am duschen war, daß er irgendwann aufhörte zu duschen.
wenn er, unter der dusche stehend, daran dachte, nachher nicht mehr unter der
dusche zu stehen, drehte er den kaltwasserhahn immer weiter zu. zweimal schon
hatte er es geschafft, nur mit heissem wasser zu duschen. kurz nur, aber doch
so lange, daß er sicher sein konnte, nachher schnell einzuschlafen. das
entschädigte ihn ein wenig fürs duschen-aufhören-müssen.
neulich erst hörte er sich einer frau sagen: es wird
nichts besser. das einzige, das bleibt, ist, den schaden zu begrenzen. warum
den schaden begrenzen, dachte er prompt, so wie jemand, der sich angegriffen
fühlt und einfach seine verteidigung beginnt ohne zu wissen, was er jetzt
gleich im nächsten satz sagen wird.`warum denn
ausgerechnet hier wieder grenzen ziehen wollen, wen doch alle anderen längst
überrannt worden sind. von selbst. aus freien stücken. zwanghaft gewollt. und
jetzt auf einmal wieder welche ziehen. aufziehen. wachsen lassen. wieso?'
`vielleicht ist es ohne grenze langweilig!'
`oder dauernd aufregend, weil man schon das kleinste
signal einer sich ankündigenden neugrenzziehung hart erkämpfter
wahrnehmungsfreiräume direkt als bedrohung empfindet. so als ob die signale
nicht bloß zeichen, sondern schon realitäten wären. und man alles daran zu
setzen habe, den freiraum, wenn nötig mit gewalt, zu befreien.
h. war gerne befreier seiner wahrnehmungen. besonders
gerne aber freier für frauen. das das eine mit dem anderen in verbindung stand,
daß sie sich in geschwätzhaftem tratsch austauschten - manchmal auch auflösten
-, beruhigte h. er wußte damit, daß das je eine und das je andere mehr waren
als nur nd immer nur das je eine und immer nur das je andere: also auf dem
besten weg zur wirklichwerdung. da ihn wirklichwerdung wenig interessierte,
konnte er genüßlich zusehen, wie sich freie sicht und freie frauen wieder und
wieder verirrten. wie kinder.
denn im grunde war es kinderkram, das ficken mit
frauen. natürlich lag das an ihm, besser gesagt daran, daß h. nie so mit frauen
um- und rumspringen durfte, wie er gern wollte. er selbst verbot sich nämlich,
eine frau in lebensgefahr bringen zu wollen. eine frau wäre ganz sicher in
lebensgefahr, wenn h. sie so fickte, wie er wollte. er war froh, diesen tribut
der zivilisation, der gesellschaft zu zollen. und nicht zuletzt den frauen. daß
ihm das erlaubte ficken nicht viel mehr freude bereitete wie die eines
hungrigen, der heißhungrig die kühlschranktür aufreißt und bloß eines
gurkenglases ansichtig wird, konnte er schon rationalisieren. besser als
nichts, dachte h. er wollte lernen, sich diesen satz in allen möglichen
lebenslagen einreden zu können.
h. hatte keine kriminelle energie. dafür nahm er aber
bestimmt von jahr zu jahr an gewicht zu, dachte er. quasi als ausgleich.
krimineller energieverbrauch statt kriminelle energie. und wo die energie
verbrauchen? natürlich nicht in der politik, der kultur, am schreibtisch, der
initiative oder in der liebschaft, nein. im magen. fressend und nochmals
fressend, so stellte sich h. vor, wenn er sich vorstellte, zu den enddreizigern
zu gehören. er sah nämlich ausschließlich dicke bäuche, wenn er enddreiziger
sah. er war überzeugt, daß das vom fressen kommt. oder vom saufen. aber saufen
war ja fressen, fressen von gesichtern, umwandeln von gesichtern in fressen.
gesicht, fresse, fratze, maske. komischerweise gefielen h. leute mit
zerfressenen gesichtern besser denn solche mit masken. sah er maskengesichter,
dann auch das, was hinter der maske nicht zum vorschein kam. und das hinter der
maske nicht zum vorschein kommende war meist schrecklich. weil er es nicht sah.
sondern nur ausdachte. er mußte sich das hinter der maske befindliche
schrecklich ausdenken. wieso sollte sonst etwas versteckt werden, wenn es nicht
schrecklich war? h. war überzeugt, daß diejenigen, die sich eine maske
zulegten, schreckliches zu verbergen hatten. warum sollte er sich dann nichts
schreckliches vorstellen? und weil die einbildung meist totaler ist als
ausgebildetes, sah er hinter masken viel schrecklicheres, als vermutlich an
schrecklichem zu verbergen war. deswegen schnitten maskengesichter schlechter
ab als zerfressene. er war allerdings auf dem besten weg, auch diese unterscheidung
fallen zu lassen.
wie stand es mit ihm? `tja, also...ich denk' schon,
mein gesicht so eingerichtet zu haben, wie ich es ausdrücke. gut, morgens, in
der u-bahn, da kann es schon mal passieren, daß ich freundlicher aussehen will,
als es mein gesicht zuläßt. aber das ist das einzige, was funktionieren will.
ein lächeln kommt sonst nie bei mir rein...'
das kam jetzt immer öfter vor, daß h. sich in einem
projizierten dialog wiederfand. richtige dialoge lehnte er schon seit langem
ab. oder doch nicht? etwas am dialog muß ihn also doch angesprochen haben. muß
ihm gefallen haben. das wäre schon außergewöhnlich, das. nicht nur, daß er seit
jahren keinen dialog mehr praktizierte: dialog als form der verständigung
erschien ihm so unzeitgemäß wie hexenverbrennungen. so wie er froh sein konnte,
daß es heute keine hexenverbrennungen mehr gibt, so ärgerte es ihn, daß
heutzutage noch dialog stattfand. so als gäbe es heute hexenverbrennungen.
er hasste dialoge. daß die noch so viel zulauf hatten,
wollte nicht in seinen kopf. er wollte nicht annehmen, daß sich die zeit
während des mittelalters einfach in die erste zuschauerreihe einer
hexenverbrennungsshow setzte und dort heute noch sitzt. jetzt allerdings vor
dem bildschirm. die zeit als publikum. das ist überhaupt das grundübel. wenn
eine bezeichnung das ausgehen des 2ten jahrtausends trifft, dann die: zeitalter
des publikums. alles ist dem publikum erlaubt, alles. es darf sterben, getötet
werden, sich töten, wegsehen, sich räuspern, stören, sich verkrampfen, akklamieren,
geniessen, kritisieren, reden, kontrollieren, nur eins darf es nicht: sich
produzieren. träfe der satz zu, daß derjenige, der nur zusieht, nicht
existiert: der mond avancierte zu einem bevölkerten planeten gegenüber dem, was
dann noch auf der g-7-welt wäre.
dabei ist dem publikum-vormacher-verhältnis geradezu
in die haut geritzt, sich in nur noch vormacher-verhältnisse aufzulösen. dann
gäbe es allerdings kein publikum mehr und auch keine, die irgendwas vormachen
könnten. aber das ist doch schon so, dachte h. machte sich heute nicht jeder
etwas vor? produziert nicht jeder noch die abgeschmacktesten rituale von
gemeinschaft, öffentlichkeit, kultur und egoismus? aber sicher. und am
allerliebsten die rituale des publikums. sich als publikum etwas vormachen, man
macht sich etwas vor als publikum, um dann als publikum nichts mehr machen zu
müssen. doch, sehr geschickt.
h. fand die veranstaltungen ekelerregend, bei denen
das publikum sich nicht als publikum wahrnahm, sondern so tat, als sei es auch
künstler, auch musiker, auch schauspieler, kurz: als sei es auch vormacher.
vormacher, der gerade gönnerhafterweise pause einlegt, um sich einem
geschätzten kollegen als publikum zur verfügung zu stellen. um ja nicht als
zuschauer erkannt zu werden, konzentriert sich solch ein publikum derart auf
den bühnenbewohner, daß es unverständnis hervorrufen muß, warum es noch nicht
an verkrampfung krepiert sei, oder es tut so lässig unkonzentriert arrogant,
daß zwanghaft der gedanke auftaucht, hier handelt es sich um eine veranstaltung
von guten freunden, die sich ohne weiteres diesen relaxe erlauben können.
befand sich h. in solch einer veranstaltung, wechselte
für ihn die bühne. ihn interessierte nur noch das publikum, er saugte es auf
mit seinen augen, seine augen waren losgelöst von seinem körper, er sah quasi
nur noch von den augen aus, was er sah. das regte ihn schon immer an,
beobachter zu beobachten. `die da, die in schwarzen lederhosen eingepackte
enddreizigern, köchinnengesicht, madamhut auf breitem schädel, senkrecht
pedantisch wie sie dasitzt, die augen fallen alle kurz lang zu zur meditation.
"ach, dieser satie, einfach übermenschlich". jeder noch so kurze
kontrollblick ins publikum hinein verrät ihr vormachen derart, daß sogar sie
bemerkt, daß sie sich dadurch verrät.
und da hinten die, intellektuelle endzwanzigern, der
mund so halbkreishaft nach unten gezogen, als müsse sie kraft aufwenden, ihn
oben zu behalten, ungenau wie immer in ihrem ausdruck.
und ach da, was macht die denn in so einem laden, die
passt doch gar nicht natürlich genau passt die die interessiert sich doch gar
nicht doch, sehr geil, jetzt guckt sie guckt sie guckt sie guckt sie weg, puhh,
dran bleiben, die will, was ist bis jetzt da, da hinten die, da die und die,
h., blickwechsel, keinen verschenken, höchstens, wenn...'
klatschen setzt ein. auch h. macht pause. der erste
set ist vorbei.
"bananensaft? den gibt's hier?"
das spielerische des erstaunt-seins gefiel h. sie sah
auch so recht gut aus, wenn erst auf den dritten blick.
probiere, sagte h. in einem etwas zu
unenthusiastischen ton. das schien die erstaunung spielende auch gemerkt zu
haben, worauf sie eine zweite, nicht einmal dümmliche salve interessierter
neugierde am banansaft zum besten gab. das tat sie
nicht nur, weil sie sah, wie wenig ausreichend sie h. bezauberte, sondern um h.
zu einer ebenfalls spielerischen annährungsgeste zu bringen. das hätte nichts
anders bedeutet, als daß sich h. hätte schlecht fühlen müssen. denn h. hasste
diese art des anmachens. schnorren, die nicht in der lage waren zu sagen: gibst
du mir geld? oder: willst du mir geld geben? - am liebsten war ihm der satz: du
gibst mir geld? -, sondern mit irgend einem gewuatsche
an die knete wollten, gab er prinzipiell nichts. entweder wollen oder nicht
wollen, tun oder lassen. dazwischen gab es für h. nichts. außer zu hassendes.
so wie dieses banansaftgesülze der frasu, die mittlerweile von einem
totalitären lächeln überfallen wurde. ein glück für dich, daß du mir gefällst,
dachte er. er war froh, als jetzt das glas vor ihm stand. er konnte handeln.
probier', sagte er zum zweiten mal
und hielt ihr das glas unter die nase. hoffentlich rafft sie's, dachte er.
hoffentlich versteht sie dieses handeln, dieses zielstrebige des handelns als
anzeichen dafür, wie er ist und wie er es gerne haben will: direkt und
entschieden.
probier', sagte er zum dritten mal,
als er eine diffuse abwarthaltung bemerkte. ihm kam es mittlerweile schön blöd
vor, soviel idiotisches aufzuziehen wegen diesem scheißbananensaft, den die
frau doch sicherlich längst kannte. `ja, wirklich?' `aber ja!' `echt?' `wenn
ich's dir sag'' `meinst du wirklich?' `mann, halt's maul!'
"tatsächlich, bananensaft", sagte die frau
und stellte das glas auf die theke. was hohleres konnte sie gar nicht sagen.
`ich stelle fest, daß der bananensaft nicht nur so heißt, sondern es auch
ist...`. tatsächlich, bananensaft. soetwas drittklassiges konnte h. nicht
unkommentiert lassen. grinsend sagte er: "ja, mit ein wenig mut zur
illusion kann man sich durchaus vorstellen, es sei bananensaft". `hat
sie's verstanden, die schöne dumme?'
h. blickte ihre augen an, blickte sie an, an, an,
jetzt durch, durch, blickte durch ihre augen, durch...
"ich wünsch' dir guten genuß", hörte er sie
sagen. das klang wie, wie..., `verdammt, was bildet die sich ein, diese alte...'. schon stand sie auf und war weg. h. tat so, als sei er
damit einverstanden, als hätte er nichts anderes erwartet, griff zum glas und
trank, trank es leer. und jetzt? h. fühlte sich benommen, unsicher,
konsterniert, fing schon an, sich von außen zu betrachten. die musik setzte
wieder ein. er war gerettet, wußte wieder, was zu tun war, ließ sich wieder in
die obhut seiner augen fallen, grinste unaufdringlich, bestellte weiteres:
alles wie gehabt.
das einzige, woran er sich erinnern werde, wenn er
sich an diesen abend erinnern sollte, wären die worte "wie heißt
du?", dachte er beim hinausgehen.
p.s.
als h. einmal gefragt wurde, was es für ihn heißt,
glücklich zu sein, fühlte er sich wie jemand, dem ein alien vor die nase
gesetzt wurde, das mit fremden phonen auf ihn einredet. h. antwortete trotzdem
brav in zivilisierter sprache, glück sei soetwas wie sich gut fühlen, wenn man
abends ins kino geht und sich auf den film freuen kann, ohne dabei zu denken,
daß der film schlecht sein werde, ohne zu denken, man verschenke wieder einmal
2 stunden seiner lebenszeit für kultiviertes abfaulen, ohne zu denken... .
er wurde unterbrochen. er habe sicherlich recht, das
aufgezählte in die nähe des begriffs glück zu rücken, wir alle kennen ja die
manchmal manisch-depressiven gemütszustandswechsel, aber ja, sicher, nein,
gefragt wurde nach dem glücklich-sein. ach so, also, ob das nicht etwas zuviel
sei, von ihm zu erwarten, zwei der unwahrscheinlichsten dinge, die es gibt,
gleichzeitig zu benennen und dann noch, also das unwahrscheinlichste überhaupt,
in ihm kumulieren zu lassen, ob sie sich das eigentlich vorstellen können,
vorzustellen wagten, glück zu haben, sich zu sein, und dann noch glücklich
sein, also das ist ja schon unverschämt, nach soetwas zu fragen, ob sie das
auch so sehen, und wenn nicht, was sie denn mit ihm vorhätten, ihn an etwas zu
erinnern, an das man nach mühevoller arbeit bloß noch durch wunden, narben und
stiche erinnert wird, zum glück nur noch erinnert wird, aber bald auch nicht
mehr, man müsse schließlich jetzt leben und nicht in vergangenen konjunktiven,
die einem noch weniger lassen, als die realität hergibt,ja, nicht, ähh, ja, was
wollt' ich sagen, ach so, was sie denn mit ihm vorhätten?
ihm wurde nicht mehr zugehört.
eine gute frage, dachte h.
p.p.s.
eine immer unerwartet aufkommende art der aufdeckung
von antworten auf nicht formulierte fragen ließ h. am heftigsten suggerieren,
wieder etwas über sich zu erfahren, was er sonst nie erfahren würde. die
antworten waren derart, daß sie sich durch nichts besonderes auszeichneten,
eigentlich nur die dritte reihe hinten links füllten, derart, daß sie, kämen
sie von einem anderen, von h. höchstens mit aha oder mhh kommentiert worden
wären. eine der antworten war der satz: es ist für mich nicht besser, das zu
tun, von dem ich denke, daß, wenn ich dieses tue, es mir besser geht, sondern
es geht mir gut wenn ich weiß, daß ich dieses tun könnte, wenn ich es wollte,
es aber nicht tue, um weiterhin quasi von unten auf dieses mögliche tun schauen
zu können.
h. besuchte schon lange keine bekannte menschen mehr.
ihm reichte es aus zu wissen, daß er sie besuchen könnte. er wollte nicht und
nichts mehr als zu können. so ein können macht es einem verdammt leicht, dachte
er. er wollte versuchen, sich dieses beschränken nur auf das können
anzutrainieren, für alle anderen welten und dinge praktikabel zu machen. so,
wie er nicht sterben wollte, aber sicher war, sterben zu können, sicher war,
ohne sterben zu wollen irgend wann tatsächlich zu sterben, so wollte er nicht
mehr leben, aber leben können und sicher sein, ohne leben zu wolen tatsächlich
zu leben. er mußte nur versuchen, seinen einfluß auf sein leben so
bedeutungslos werden zu lassen wie beim sterben, so, als lebe er nur ein, nicht
sein leben. so wie man nicht an seinem leben stirbt, sondern schlicht am leben,
so wollte er nur leben, ohne sein.
da hast du ja noch jede menge vor dich, sagte er sich.
er wußte, daß er dir hätte sagen müssen. aber er wollte schon anfangen, seine
selbstreflexiven worte zu entdifferenzieren, quasi der erste schritt, den er zu
tun hatte, um sich zu verlieren.
p.p.p.s.
aufstehen und gleich aufwachen, wach sein und sich
anziehen, angezogen und sich distanzieren, kaffee zu sich nehmend und nichts
geben, sitzen und schauen, angeschautes und verlorenes denken, geschichten
einfallen lassen und schweigen, unartikuliertes verschweigen, verschwiegenheit
signalisieren, geilheit kultivieren und wünschen, sich anstellen beim
nachmachen, sich projizieren können wollen in vorhaben, souverän verlieren, ja,
so sieht's aus.
teil 3
es ist nicht mehr zu fassen. allenfalls das unfassbare
bleibt konstatierbar. der rahmen, der, aufgefüllt, nicht einmal mehr
zusammenbricht.
das hirn tröpfelt unbeeindruckt aus der wahrnehmung.
von den augen aus zu sehen schmerzt. augen entscheiden für reales; die
vorstellung bleibt bestenfalls im zynischen joke. dummheit reiht sich an
dummheit, fragt nach dem befinden, lächelt, smalltalkt... .
wie noch vermitteln, daß krieg herrscht, daß sie an der front stehen: wählen
können höchstens zwischen 3. und 38. reihe. wir kriegen sie alle, und sei es
mit einem dispo.
oder, für durchgeblickte, die nonoaufführung, die
wilsonaufführung, die selbstinszenierung. das elend der gesellschaft als
abgeklärtes partygeschwätz. wir wollen, daß sie sich entspannen. ihre
postmoderne.
tausendmal gesagtes, tausendmal nichterreichtes,
tausend real existierende niederlagen: es ist vorbei, genosse. unterhaltung ist
angesagt. aber sicher ist das scheisse, aber was? mach' dich nicht lächerlich.
schau dir die grünen an, die gewerkschaften, die arbeitslosen, die studenten.
was siehst du?
negation schon auf solch einem abstraktionsgrad
simulativ, daß sie es sich erlauben können, mietverträge zu unterschreiben,
terroristen zu begnadigen, selbstkritik zu inszenieren. angst wird bezahlbar.
der ersatz erklimmt die gipfel unerreichter wünsche. imitation ist chic.
boutiquen stellen sozialgeschichte aus. körper fangen an zu stammeln. gemeinsam
bestaunt man seine kompromißbereitschaft, aus sicherer entfernung. kontakt
wirkt anti-masturbativ.
sich wohlfühlen wollen in solipsistischer distanz, im
bekenntnis, nie wirklich auf verwirklichung aus zu sein. im
attitüdenverseuchten schweigen. in der erkenntnis des nicht-aushalten-könnens.
sich mit der unzufriedenheit befrieden. ja keine erwartungen, etwas könne
gefallen, scham, wenn etwas gefällt. fasziniert werden von der eigenen
verkrüppelung: wäre man nur taubstumm, wäre man nur querschnittgelähmt: das
antiquierte gefühl, man verpasse etwas, man könne etwas verpassen, störte nicht
mehr das fernsehen, das zuschauen. wäre man nur schon so weit, erleben nur noch
beim zusehen für möglich zu halten. jajaja.
unterdessen redet man über die ausrede. nichts sei
mehr zu machen. das reden redet das machen aus, bei einem guten essen, drei bis
vier wirkungsvollen küssen...ja, uns geht's noch gut, sicher, probleme, aber du
kennst das ja, nur nicht unterkriegen lassen, das wollen die doch, noch einen
expresso, ja?
ja, man ist schon froh, schon froh, daß sich die
erkenntnis über die gesellschaftliche repressionsmaschinerie nicht mehr mit dem
eigenen genuß schneidet, erinnerst du dich, damals, frühe 70er, diese
marxistisch aufgeblähte anhedonie, doch, es war eine gute zeit, eine wichtige,
eine... du bist müde? sollen wir gehen? von mir aus können wir ruhig gehen, ich
muß morgen auch früh raus... die alten aus den 70ern? tja, also ehrlich, äh,
ehrlich gesagt, ich hab' keinen nerv mehr, da reinzulesen, die meisten sind in
kisten verstaut, nein, die sprache ist schon pervers...band eins des kapitals
les' ich ab und an, also das ist ja immer noch unerreicht, diese eindringliche,
unpathetische beschreibung des elends...und diese polemiken gegen die
bürgerlichen theoretiker, diese polemik, also die findest du heute nirgends,
dieses fundierte auseinandernehmen des politischen gegners, dieses...ähh, tja,
ins theater gehen wir nicht sehr oft, es kommt ja kaum was vernünftiges, und
außerdem fühle ich mich unwohl, wenn ich dieses gespritzte publikum sehe,
halbgebildete, vertrocknete kreaturen mit distinguierten mundgeruch... .
wie schnell der raum schmilzt, wenn es einem an was
fehlt. wie klar einem wird, daß man hier nichts verloren hat, das man
wiederfinden könne. man hat einfach nichts mehr zu verlieren, das wichtig ist.
aber ja doch. und weil uns irgendetwas noch zwingt, an möglichkeiten zu denken,
denken wir, daß wir uns selber wichtig sind. jetzt allerdings wird es
schwieriger. der kampf nimmt schmerz an. manchmal auch freude. auf jeden fall
tut er so, als ginge es um etwas, das wichtig sei, um etwas, wegen dem diese
ganze empfindungstatsächlichkeit des kampfes sich in szene setzen muß...,
ja...prompt blasen sich geschwüre wie scham, stolz, mitleid, identität usw. auf
zu verteidigungswürdigen gütern, zu strategischen schnittpunkten im
vernichtungskoordinatennetz des menschlichen umgangs. plötzlich nur hat man
sich wieder im visier, sieht sich angegriffen von allen seiten. aber da ist
keiner, der angreift. was man sieht, was man eigentlich nur zu sehen vorhatte, ja,
was eigentliches ziel des ganzen komplizierten ich-und-die-welt-spiels war...,
das war: die anderen verteidigen sich ja auch, starren inmitten ihres wartens
auf angreifer, die sie doch endlich in den arm nehmen sollen, man hält es
schlichtweg nicht aus, daß keiner da ist, der sich auf den anderen bezieht.
und so geht es weiter. die schaufenster werden bunter,
heller, immer öfter stehen wir davor und warten aufs weitergehen. glaubt ihr
wirklich, daß das irgendjemanden wirklich interessiert? aber darum geht's doch
nicht. die leute wollen zusehen, nicht leben können. leben müssen sie. da könne
sie nicht mehr wählen. die entscheidung, einfach nur noch augen zu sein, ist
die letzte gravierende in ihrem leben. unterhalte sie. sie werden nichts
behalten außer, daß sie sich nichts merken können, außer, daß sie sich nicht
bemerken. das ist ihr andenken.
wenn das leben eine zeitliche gestalt sein könnte,
müsste gestalten-können lebendige zeit sein. komm, hör auf, bitte. zeit war
immer oben und wird immer oben bleiben. was ist denn rausgekommen? eroberung
des unten. was aus dem abbeten des es-wird-besser-mit-uns-hab-geduld?
softwarefutter fürs große simulationsprogramm
es-wird-besser-mit-uns-packt-mit-an. darum sehen wir so aus, wie wir anpacken:
rechtsanwälterisch, sozialarbeiterisch, geschwätzig, schriftstellerisch,
enttäuscht, verwechselt und mit dreieinhalb netto versorgt.
komm, laß uns gehen. ich weiß nicht wohin, aber wir
haben eine wohnung, in der wir schon lange wohnen. laß uns zur gewohnheit
werden, daß wir immer wissen, wohin wir gehen, wenn wir nicht mehr wissen,
wohin wir gehen können.
spekulieren wir aufs altern. freuen wir uns, zu werden
und zu faulen, simultan. alt werden und faulen. es muß doch einmal sein ende
haben mit dieser dauernd bereitzustellenden vernichtungsanfälligkeit.
komm...komm, laß uns gefühl, erwartung, vorstellung, unnützes, verkommenes,
gestikuliertes nicht mehr angreifen, wenn es von uns erwartet wird. sagen wir
einfach, es sei schon alles hin. hinüber. alles vernichtet. nichts mehr zu
verlieren. laß uns ein inserat schreiben: ab heute sind wir nicht mehr
angriffswürdig. ab heute nur noch stumm. ab heute nur noch vergangene
konjunktive.
nichts mehr bestimmtes, nichts zu bestimmendes mehr.
bestimmend waren wir noch nie. obwohl uns das ja eine perspektive in die
ohnmacht riß, damals. ab heute nur noch stumm.
handeln, das mehr bewirkte als aufzuholen, das mehr
wäre als unterlassen von unterlassungen. handeln, das sich in der wirklichkeit
zurechtzufinden hätte, nicht in der vorstellung. handeln, das so bestimmte wie
das wort beeindruckt... .
komm, laß uns gehen, ich hab' schon bezahlt. ja,
alles.
und gehen raus, etwas schwerfällig vor müdigkeit. mit
überfüllten magen. bewegen wir uns mit unseren kleidern durch eine nur durch
ihr durchquert-werden-müssen überhaupt empfindbare raumzeit, bis wir die
wohnungstür hinter uns schliessen. um zu zeigen, wie wenig wir noch mit dieser
welt zu tun haben, demonstrieren wir ein unbehagen mit unseren kleidern. wir
bewegen uns nur noch mit, nicht mehr in ihnen. das ist vorbei. irgendwann muß
schluß sein mit dem demonstrieren des gleitenden übergangs von inen nach außen.
man macht sich doch lächerlich, sich nicht zu verstecken. auf jeden fall
lächerlicher, als sein verstecken zur schau zu stellen.
warum weiß man erst so spät, was man an der heuchelei
hat. an den freundlichkeitsritualen. dem loben. dem zustimmen im bloß
anwesenden zustand. man hat einfach mehr für sich übrig, wen aus solchen
kleidern, aus solcher distanz, aus solch einer als respektabel interpretierten
annährungslosigkeit heraus umgang betrieben wird. beiderseitiger
annährungslosigkeitsumgang: und die welt ist wieder in der ordnung, die ohne
aufhebens erträglich wird. für ein bis drei stunden zumindest. länger hält man
es nicht aus, ohne möglichkeit, sich auf alkohol zu berufen. das macht alles
nichts. es ist eh nichts zu sagen, das nicht tausendmal schon gewußt und bewußt
wurde.
offenbahrungen über das, was wie wirklich ist, können
sich eh nur die erlauben, denen wir glauben. auf jeder party dürfte das hin und
wieder ein einzelner sein. spielt er dann sein rauskotzen noch möglichst
unpathetisch und abgeklärt, dann können wir uns sogar für den ganzen abend
dranhängen ohne aufzufallen. wehe, wenn jemand zu erbrechen beginnt, von dem
wir wissen, daß er nichts im hirn hat. nur das nicht. automatisch drückt es
einen noch stärker in die anstands- und mitspielecke, quasi hilflos schaut man
zu, wie solch ein sätzetreffer aus unseren reihen unsere reihen noch fester
legitimiert. "sicher hat er recht, aber...". "der
hat gut reden, jetzt...". "ist der schon so
weit zurückgefallen?"
vielleicht fünf minuten, so kurz vorm einschlafen.
oder nach dem ersten zur-seite-drehen: mehr ist nicht drin. das sollte auch
reichen.
im grunde ist doch nur die müdigkeit...im grunde ist
es doch nur die müdigkeit, der wir volle aufmerksamkeit schenken. sie verlangt
nichts mehr, fordert kein aufpassen und keine rücksicht. ihr auftreten ist
immer willkommen. immer. in der müdigkeit erreicht der sinn die totalste
abstinenz seiner berechtigung. natürlich nur, weil über sie nicht zu
entscheiden ist: ein natürlich-biologisches relikt inmitten sozialer
hochzüchtungen. allseits respektiert und zudem zutiefst
menschlichkeitsexpressiv.
schläfst du schon?
nein.
gestern war ich im kino.
ja, und?
nichts und. ich war einfach nur im kino.ich sah zwar
einen film, aber ich war in keinem.
ahah.
ja, und das eigenartige war: zum ersten mal wurde mir klar, daß bilder gegenstände sind. daß sie...
ich bin müde, bitte.
nein, warte, ich komme gleich drauf...
ich will schlafen. hör auf mit dem geschwätz.
ja, du hast recht. geschwätz.
geschwätz, mehr ist es nicht. wie alles. dummes dahingerede. man will einfach
nur über sich reden, mehr ist es nicht..
was ist los. ich dachte, wir fühlen uns nicht mehr
angegriffen.
das ist mir jetzt scheißegal. diese rücksichtssüchtige
rücksichtslosigkeit. genauso billiger taschenspielertrick wie alles andere
auch.
kannst du dich noch daran erinnern, damals? die ersten
minen, die wir uns legten: waren nur attrapen. und das wußten wir. es war
einfach nur spiel. gut gemeint. und deshalb nicht wirklich. weißt du noch? die
ersten zynismen, die einen nicht einschlafen liessen. die noch beim
frühstückskaffee wach waren? die ersten blicke, die wir nicht mehr verstehen
wollten? die ersten fernsehabende, die sich wie schmerzlose folter ins hirn
einbrannten? die erste anspannungsempfindung beim ins bett-gehen oder beim
grüssen?
es kommt nichts mehr raus. also denken wir, es ist
nichts mehr drin. schnell aufgeben, das war das letzte ziel. auch mit
gesichtsverlust. den glaubten wir gemeinsam verkraften zu können. das war
unsere gemeinsamkeitszehrung: anders-mit uns-umgehen-als-mit-anderen unser
unausgesprochenes vertrautheitsreservat.
einfach nur noch eine zeit und irgendeinen raum
zusammen aushalten. nicht mehr auf ein ultimatum warten, das 1000
mal schon aufgeschoben wurde. einfach daliegen, zur arbeit gehen, essen,
schlafen, lesen, reden, nachdenken. einfach nur so. ohne gleichung. ohne
gleichheitszeichen. ohne kleinsten gemeinsamen nenner. ohne summe. allenfalls
substraktion und addition.
abstraktion nur noch beim ficken. oder beim
parkplatzsuchen. öffentlicher verkehr: defizitär.
willst du auch noch was trinken?
du bist noch wach? apfelsaft. ich komm gleich nach.
nicht mehr als worte. nicht mehr als worte bleiben
beim schreiben, wenn man noch sprechen kann. das könnte man wissen, wäre
bedürfnis nicht so unwissend.
etwas ermüdet, etwas weisses gefüllt. mit punkten. mit
etwas zwischen den punkten.
und morgen bleibt alles, was nicht ist, wieder in
vergeßenheit. alles, was sich uns vorstellt, eingewickelt im
autoschlüsselumdrehen, im anfahren, im straßenverkehr, im parkplatzsuchen, im
morgen-guten-morgen-hüsteln, im hinsetzen und mit der arbeit anfangen wollen...
morgen ist wieder alles so, wie es möglich war.
ich leg mich hin. zu ihr. und will es so. das ist viel
für dieses leben. das weiß ich, zumindest jetzt, oder..
bist du fertig?
womit?
dem schreiben.
nein.
auf dem schreibtisch?
nein, laß. es ist nicht zum lesen...
jetzt macht sie's zum zweiten mal
kaputt. das wollte sie, genau das wollte sie.
man schaut in den spiegel und denkt an kinofilme. an
die szenen, in denen irgenwelche vor dem spiegel stehen und sich anschauen. man
wünscht sich etwas schwergewichtiges beim vorm-spiegel-stehen, etwas
schnittpunktartiges, bedeutendes, eine erklärende geste. aber was man sieht ist
bloß ein gesicht von sich und man selbst, wie man im hirn an tausend andere
vorm-spiegel-stehen-gesichter denkt. mehr nicht.
wie war das nochmal, diese sicherheit im handgelenk.
dieses wissen, etwas besseres vorzuhaben als das angebotene. das angebotene
trotzdem mit ironie auf ganzer linie in sich reinfressen. man hatte es einfach
im gefühl, danach scheissen zu können, um dann das bessere noch besser zu
genießen. die langeweile machte dann fast nichts mehr. manchmal stieg sie hoch
bis zum imaginierten sand-im-getriebe-status. die schöne gleichung: mehr
langeweile = mehr kritische distanz = mehr erkenntnis: waren wir naiv! und
erklärungssüchtig. natürlich nur im großen ganzen gesehen. für unsere kleine,
miese, alltägliche alltäglichkeit blieb uns die zeit nur in kleinen dosen
verfügbar. schon froh sein, daß man nach zwei oder drei jahren den wagen
wechselt. oder jedes jahr im gleitenden übergang seine zigarettenmarke
entnikotisiert. man braucht einfach eine sichtweise für zeit, eine sichtbare
vorstellung des voranschreitens oder hinter-sich-lassens. aber ja doch.
dieser entseztliche hang zur hohlen melancholie.
dieser verständigungsdruck. hat sich festgebissen.
das einzige opfer, das man bereit ist zu tragen, ist,
eine ganze lebenszeit an sich zu verschwenden. man opfert sich sich. man hat
viel zu wenig am eigenen verlust zu beklagen. bestenfalls ein paar ausschnitte,
die gleichzeitig auch einschnittig waren. eine sehr schöne dekorierte attitüde,
die sie da tragen, herr...wie war noch mal der name?
halb zwei. hier im bett. in dieser wohnung. neben
dieser frau. in dieser zeit. morgen am schreibtisch. hör auf, mensch. schrott.
ich hab erinnerung, das reicht.
schläft sie schon?
schläfst du schon?
meinst du, wir sollten uns trennen?
was?
trennen!
wie kommst du darauf?