das linke herz
1992
" der gang der dinge - ein gehetzter. die dinge
selber - sie hetzen. diese innerste perfidie, es gleichzutun,
günstigenfalls mit sich, in der regel
mit anderen: sich hetzen, andere hetzen. es braucht dazu keiner geschwindigkeit mehr, die noch die letzte vertrautheit in äußerlichkeit
verwandelt. der terror kann sich gelassenheit
erlauben, brennt sich langsam ein in hirne und
fragen, die keine mehr sind, denen nach mehr sein könnte, als was ist.
verklemmt strauchelt der drang umher, nicht nur als
notwendiger zu gelten, als vielmehr einziger noch in der lage
zu sein, das gnadenlose des ganz normalen lebens mit worten zu erkennen, eingedenk, daß
die möglichkeit, das gnadenlose in ruhe zu lesen,
ebendieses als versöhnlich lebbares zu illusionieren
versucht. es gibt keinen punkt mehr, der nicht nicht
dazu beiträgt, das grausame zu isolieren. es ist überall, im tagesverlauf, in den brennenden asylantenheimen,
in dem "einreise verwehrt", beim u-bahnfahren,
beim arbeiten, in den büros, den krankenhäusern,
den wohn- und schlafzimmern, den theatern,
den anderen ländern, den straßen,
den talkshows, den...
je isolierter das
isolierte leben aufblitzt, desto allgemeiner ist es schon. das meer ist die eisbergspitze. und wir schauen noch auf eisberge, als trennte uns noch erhebliches vom totalen desaster; der vergesellschaftung
der abwesenheit von gesellschaft.
hier und da, dann und wann stellen wir uns in die schlange derer, die das neuste produkt
der firma "gesellschaftlicher fortschritt"
in prächtigen hallen zur ausstellung bringen... . ganze fertigungsstraßen auf manufakturniveau werden unter strom
gesetzt und entlassen am ende der fliessbänder
feuilletonistische, tv-dokumentarische, wis-senschaftliche text-dragees
mit dem konzentrierten aroma dessen, was mehr licht
versprach, dem amorphen dunkel der verhältnisse und beziehungen zwischen menschen spurenelemente an uneigennützigkeit
abzutrotzen.
unter vier augen erlauben wir
uns, mit unseren verletzungen zu prahlen, mit unserer
kleinen, unbedeutenden geschichte, die um verständnis wirbt, daß wir heute
die zynischen monster sind, die wir früher doch
verachteten.
erlauben uns ehrfurcht
darüber, wie soetwas wie eine arbeiterbewegung
- wie total gescheitert auch immer - sich entwickeln konnte, bei 14 stunden
arbeit, bei ständiger begleitung durch tod und überlebenmüssen, bei goliaths von feinden; wie soetwas
wie die oktoberrevolution passieren konnte; wie soetwas wie
widerstand überhaupt jemals sich hat organisieren können. wie degenerierte marsbewohner schauen wir auf diese geschichte,
die heute, als eine geschichte, den stellenwert von märchen erreicht hat und zu reich illustrierten brain-quickies verwurstet wird.
unser richter scheint immer
noch die zukunft zu sein. wir wissen, daß die heutzutage dominierende tätigkeit,
bestehende wirklichkeiten zu designen,
um zwischen ihnen noch differenz auszumachen, zuwenig
ist und nicht kompensiert, doch eigentlich neue zu schaffen, schaffen zu
müssen, die ihre heimstatt nicht nur in medien haben, sondern immer noch zwischen menschen: denn dieser raum -
zwischen menschen - läßt
sich nicht modernisieren, sondern nur humanisieren. "